Health Care, Pharma & Life Sciences 3/2017
Vergütungspflicht praktischer Tätigkeiten von Praktikanten
Das Bundesarbeitsgericht hat eine praxisrelevante Entscheidung bezüglich der Vergütung von Praktikanten getroffen. Laut dem BAG kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch auf Vergütung selbst dann bestehen, wenn ausdrücklich ein unentgeltliches Praktikum vereinbart wurde. In dem entschiedenen Fall hatte die Praktikantin Leistungen übernommen, die nicht mehr von der Ausbildungsordnung umfasst waren. Die sie beschäftigende Klinik wurde daraufhin zur Nachzahlung von Arbeitsentgelt verurteilt.
Die Parteien stritten sich darüber, ob die Beklagte, eine Klinik und Polyklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, ein Arbeitsentgelt an die Klägerin zahlen muss. Die Klägerin wollte sich zur Kinder- und Jugendpsychotherapeutin ausbilden lassen. Die dreijährige Ausbildung besteht aus einer praktischen Tätigkeit, die von einer theoretischen und praktischen Ausbildung begleitet wird. Genauere Anforderungen an die Ausbildung sind durch eine Rechtsverordnung bestimmt. Die Parteien vereinbarten vor diesem Hintergrund, dass die Klägerin im Rahmen dieser Ausbildung ein einjähriges, unentgeltliches Praktikum bei der Beklagten absolvieren sollte.
Während dieses Praktikums erledigte die Klägerin regelmäßig Testungen und therapeutische Tätigkeiten eigenständig und in wirtschaftlich verwertbarer Art und Weise. Auch die Auswertungen dieser Tests nahm die Klägerin selbständig und ohne Beaufsichtigung vor. Die Leistungen der Klägerin hat die Beklagte auch gegenüber der Krankenkasse abgerechnet, ohne offenzulegen, dass diese von einer Praktikantin erbracht worden waren. Ab dem vierten Monat des Praktikums führte die Klägerin zumindest mit einem ihr festzugewiesenen Patienten stetig Einzeltherapiestunden durch. Dies geschah ohne Aufsicht oder individuelle Nachbesprechung. Auch hatte die Klägerin zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen, die festangestellten Psychotherapeutinnen bei Therapiesitzungen zu vertreten. Die Klägerin nahm an den Besprechungen der Belegschaft teil und war voll in die Arbeitsabläufe der Station eingebunden.
Lediglich alle sechs bis acht Wochen gab es Gruppensupervisionstermine von jeweils circa einer Stunde Dauer. An diesen nahmen drei bis fünf auszubildende Psychotherapeuten und eine Oberärztin teil. Dies war die einzige spezifische Ausbildungsaktivität während dieses Praktikums.
Die Klägerin war der Auffassung, sie habe wie eine normale Arbeitnehmerin gearbeitet und müsse entsprechend vergütet werden. Die Beklagte hingegen vertrat die Meinung, sie habe die Klägerin unter Beachtung der entsprechenden Ausbildungs- und Prüfungsordnung ordentlich ausgebildet. Das Praktikum sei als unentgeltlich vereinbart worden.
Anspruch trotz vereinbarter Unentgeltlichkeit
Das BAG entschied zugunsten der Klägerin. Die Parteien hätten zwar in rechtlich nicht zu beanstandender Weise ein unentgeltliches Praktikum vereinbart, es komme aber eine entsprechende Anwendung des § 612 Abs. 1 BGB infrage. Danach gilt eine Vergütung stillschweigend als vereinbart, wenn die Dienstleistung nur gegen eine Vergütung zu erwarten sei. Dies gelte auch, wenn ein Praktikant höherwertige Dienste verrichtet, als die, die er während des Praktikums normalerweise zu erbringen habe. Die Unentgeltlichkeit gelte nicht für Tätigkeiten, die von der Vereinbarung nicht mehr umfasst sind.
Wertung aus Mindestlohngesetz
Das BAG nimmt auch Bezug auf die Wertung des zwischenzeitlich in Kraft getretenen § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Mindestlohngesetzes (MiLoG). Nach dieser Norm gilt der Anspruch auf Mindestlohn nicht, wenn es sich um ein Pflichtpraktikum im Rahmen einer Ausbildungsordnung handelt. Diese Wertung sei hier aber nicht anwendbar, da die Durchführung des Praktikums von der in der Ausbildungsverordnung vorgeschriebenen Art und Weise erheblich abweiche. Die Tätigkeit falle somit nicht mehr unter § 22 MiLoG.
Die Klägerin habe zumindest an zwei Tagen in der Woche Leistungen erbracht, die im Rahmen ihrer Ausbildung nicht geschuldet und dahin nur gegen die Zahlung der üblichen Vergütung zu erwarten waren. So ordnet die Ausbildungsordnung insbesondere an, dass die praktische Tätigkeit unter fachspezifischen Anleitungen durchgeführt werden muss. Auch eine eigene Patientenbehandlung während der praktischen Tätigkeit ist nicht vorgesehen. Vorliegend habe die Klägerin jedoch die oben beschriebenen Tätigkeiten ohne Kontrolle und ohne gemeinsame Nachfolgeanalysen verrichten müssen. Dies sei mit einer Praktikumstätigkeit nicht zu vereinbaren.
Vergütungspflicht bei Praktikanten
Grundsätzlich ist bei einem Praktikum eine Vergütung nicht unbedingt zu erwarten, da die zu erbringende Ausbildung für den Ausbilder regelmäßig einen erheblichen Aufwand bedeutet. Daher kann ein Praktikant nicht für jede von ihm erbrachte geschuldete Leistung ohne weiteres einen Anspruch auf Vergütung erheben. Hierbei muss aber immer der Anwendungsbereich des MiLoG beachtet werden. Vorliegend machten die ohne Kontrolle ausgeübten Tätigkeiten jedoch einen wesentlichen Teil der insgesamt geleisteten Stunden aus. Die vorherige Instanz nahm daher die Vergütung einer Psychotherapeutin in Vollzeit als Grundlage und sprach der Klägerin die für zwei Tage anteilige Vergütung zu. Dies hat das BAG bestätigt.
Fazit
Diese Entscheidung sollte als warnendes Beispiel dienen. Als Arbeitgeber können Sie sich nur insoweit auf eine Unentgeltlichkeit berufen, soweit die Tätigkeit von der Ausbildungsordnung jeweils umfasst ist. Eine volle, selbständige Mitarbeit darf von Praktikanten, auch bei Pflichtpraktika, nicht erwartet werden. Jede Tätigkeit, die über die normalerweise von der Ausbildung umfasste Tätigkeit hinausgeht, muss vergütet werden.