Update Arbeitsrecht Dezember 2021
Verhaltensbedingte Kündigung wegen verweigerter Schnelltestungen
ArbG Hamburg 24.11.2021 - 27 Ca 208/21
Kann ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines Arbeitnehmers kündigen, wenn dieser eine wirksam angeordnete Schnelltestdurchführung verweigert? Ja und zwar auch dann, wenn eine gesetzliche Verpflichtung zur Testdurchführung für Arbeitnehmer nicht besteht. So jedenfalls äußerte sich jüngst das Arbeitsgericht Hamburg. Demnach stellt die Weigerung eines ungeimpften Arbeitnehmers (tätig als Fahrer in der Personenbeförderung), der vom Arbeitgeber angeordneten Corona-(Schnell-)Testpflicht nachzukommen, einen schuldhaften Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten dar. Eine darauf begründete wirksame (verhaltensbedingte) Kündigung gem. § 2 Abs. 2 KSchG setzt jedoch voraus, dass der Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber zuvor vergeblich ordnungsgemäß abgemahnt wurde (Ultima Ratio Grundsatz).
Obgleich das Gericht die Kündigung im Ergebnis bereits mangels vorheriger Abmahnung des Arbeitnehmers als sozial nicht gerechtfertigt erachtet hat, ließ es sich das Arbeitsgericht Hamburg nicht nehmen, die Frage der Rechtmäßigkeit der angeordneten Schnelltestdurchführung im Detail zu prüfen und im Ergebnis klar zu bejahen; ein Urteil mit Signalwirkung.
Nach Ansicht des Gerichts bestand im konkreten Fall, auch vor Inkrafttreten der nunmehr gem. § 28b Infektionsschutzgesetz geltenden 3G Pflicht am Arbeitsplatz, eine arbeitsvertragliche Pflicht ungeimpfter Arbeitnehmer, einer vom Arbeitgeber angeordneten Corona-Testpflicht nachzukommen. Eingriffe in die körperliche Integrität sowie in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer seien bei Anordnung der Durchführung eines Schnelltests so gering, dass sie gegenüber den Interessen des Arbeitgebers, Mitarbeiter und Kunden vor einer Corona-Infektion zu schützen, zurücktreten müssten.
Ein Schnelltest im vorderen Nasenbereich führt nach Auffassung des Gerichts zu wenig intensiven Eingriffen in die Rechte des Arbeitnehmers. Denen stehen gewichtigere Interessen des Arbeitgebers, insbesondere der Schutz von Kunden und Mitarbeitern vor dem Infektionsrisiko und vor schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen, entgegen. Das Primärziel einer Testpflicht, Personen die potenziell ansteckend sind, zu identifizieren und rechtzeitig daran zu hindern, unbemerkt andere Personen anzustecken, hat dabei hohe Relevanz. Die Folgen einer Corona-Infektion – oft mit erheblichen Gesundheitsschädigungen, teilweise verbunden mit tödlichem Ausgang oder mit Spät- und Langzeitfolgen – sind selbst in milderen Fällen um ein Vielfaches unangenehmer und insbesondere abstrakt gefährlicher als ein Selbsttest. Insbesondere bereitgestellte Schnelltests, die einen Abstrich im vorderen- nicht im hinteren Nasenbereich erfordern, sind nach Ansicht des Gerichts genauso wenig invasiv wie Gurgel- oder Spucktests.
Das Gericht befasste sich zudem mit der viel diskutierten Frage der Rechtmäßigkeit der beaufsichtigten Testdurchführung beim Arbeitgeber vor Ort. Weder in das allgemeine Persönlichkeitsrecht, noch in das sich hieraus ergebene Recht auf informationelle Selbstbestimmung des zu Testenden wird durch die entsprechende Anweisung übermäßig eingegriffen. Durchgreifende grundsätzliche Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers verneinte das Gericht, insbesondere da es im konkreten Fall nur einmalig zur Testdurchführung vor Ort kam/kommen sollte. Die Datenmenge, die während der Testdurchführung erlangt wird, stufte die Kammer grundsätzlich als überschaubar ein. Bei einem positiven Testergebnis kann der Arbeitgeber ausschließlich annehmen, dass der Arbeitnehmer sich mit dem Corona-Virus infiziert hat. Weitergehende Informationen, wie bspw. ob der Arbeitnehmer geimpft ist, wo er sich angesteckt hat oder auch ob ein anschließender PCR Test positiv ausfällt, erfährt der Arbeitgeber nicht (automatisch). Gleiches gilt bei negativem Testausgang. Auch hier erhält der Arbeitgeber lediglich eine Momentaufnahme. Der teilweise gegen eine Testdurchführung vor Ort vorgebrachte Einwand, Arbeitgeber würden dadurch DNA-Material ihrer Mitarbeiter erhalten, spielt laut Auffassung des Gerichts im Interessensabwägungsprozess nur eine untergeordnete Rolle. Denn auch abseits der Pandemie kann ein Arbeitgeber sowie jede andere Person Zugriff auf DNA-Material einer bestimmten Person, bspw. durch ausgefallene Haare oder abgefallene Hautschuppen, erhalten. Die bloße Testdurchführung begründet ohne konkrete Hinweise keinen Anlass zur Sorge, der Arbeitgeber würde das DNA-Material anderweitig verwenden.
Auch weitere bereits getroffene Schutzmaßnahmen – wie etwa eine Trennwand oder eine Maskenpflicht – vermögen die Notwendigkeit und Rechtmäßigkeit zusätzlicher Selbsttests nicht entfallen zu lassen. Kumulative Maßnahmen bedeuten jedenfalls bei engem räumlichen Kontakt mit verschiedenen Personen, zumindest bis das Risiko gefährlicher Verläufe durch eine flächendeckende Immunisierung signifikant gesunken ist, auch ein höheres Schutzniveau.