Update Arbeitsrecht November 2020
Versetzung wegen zwischenmenschlicher Konflikte auch ohne Identifikation des „Schuldigen“ möglich
LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30.Juli 2019, 5 Sa 233/18
Es ist Sache des Arbeitgebers, wie er auf eine Konfliktlage im Betrieb reagiert und zwar unabhängig von Ursachen und Verantwortlichkeiten der Streitenden.
SACHVERHALT
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Versetzung der Klägerin an eine andere Betriebsstätte zur Auflösung eines zwischenmenschlichen Konfliktes.
Die Klägerin ist bei dem Beklagten seit 1990 als Köchin in einem Pflegeheim beschäftigt und gilt seit September 2013 als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 50. Der Arbeitsvertrag beinhaltet keine Regelungen bezüglich einer Versetzung und legt auch keinen Arbeitsort fest.
Entsprechend des Dienstvertrages finden auf das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten die Arbeitsvertragsrichtlinien des Diakonischen Werkes der Evangelischen Kirche in Deutschland in der jeweils gültigen Fassung Anwendung (im Folgenden als „AVR-DD“). Danach ist bei einer Versetzung eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers erforderlich.
Das Verhältnis der Klägerin zur vorgesetzten Küchenleiterin und dem übrigen Küchenteam an ihrem alten Arbeitsort wird seit mehreren Jahren als „zerrüttet“ beschrieben. Im Mai 2015 kam es zu einer erneuten Auseinandersetzung zwischen der Küchenleiterin und der Klägerin. Stein des Anstoßes war das (angebliche) Nichtbefolgen von Weisungen durch die Klägerin. Seitdem ist die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt. Zur Lösung des Konflikts wurde die Klägerin – ohne dass zuvor „der Schuldige“ eruiert worden wäre oder die Klägerin angehört wurde – in einen anderen Betrieb des Beklagten versetzt.
Mit der Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass die Versetzung unwirksam ist.
Das Arbeitsgericht Stralsund hat die Klage mit Urteil vom 4. September 2018 (Az.: 13 Ca 227/17) in der Vorinstanz abgewiesen. Die Versetzung der Klägerin entspreche billigem Ermessen und sei rechtmäßig.
ENTSCHEIDUNG
Das LAG Mecklenburg-Vorpommern hat die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Die Versetzung in einen anderen Betrieb sei wirksam und verstoße nicht gegen §§ 106 GewO, 315 BGB oder die AVR-DD.
Nach Ansicht des LAG Mecklenburg-Vorpommern verletze die Versetzung ohne vorherige Anhörung des Arbeitnehmers zwar die AVR-DD, dies führe aber nicht zu einer Unwirksamkeit der Versetzung. Der Arbeitgeber trage das Risiko, wenn er – mangels Anhörung – nicht bekannte Interessen des Arbeitnehmers nicht ausreichend berücksichtigt und deshalb eine Versetzung, ihm Rahmen gerichtlichen Überprüfung, nicht nach billigem Ermessen erfolgt sei.
Nach Abwägung der wechselseitigen Interessen bestehe für den Beklagten ein berechtigtes Interesse an der Versetzung. Es sei Sache des Arbeitgebers zu entscheiden, wie er auf Konfliktlagen reagieren möchte. Dabei müsse er nicht zunächst die Ursachen und Verantwortlichkeiten für die Konflikte im Einzelnen aufklären. Insbesondere habe der Arbeitgeber auch ein berechtigtes Interesse daran, bestehende Konflikte aufzulösen, um so einen möglichst reibungslosen Produktionsablauf und Betriebsfrieden sicherzustellen.
So stünde auch im vorliegenden Fall der bestehende Konflikt zwischen der Klägerin und der Küchenleiterin sowie anderen Mitarbeitern einem reibungslosen Produktionsablauf und Betriebsfrieden entgegen.
Die Interessen der Klägerin seien ausreichend berücksichtigt worden und stünden einer Versetzung nicht entgegen.
PRAXISHINWEISE
Die Entscheidung ist zu begrüßen, da sie die Interessen der Arbeitgeber an einer schnellen Wiederherstellung des Betriebsfriedens und damit verbundener Produktivität schützt.
Grundsätzlich gilt, dass Arbeitgeber im Rahmen ihres Direktionsrechts nach § 106 GewO Arbeitnehmer an einen anderen Arbeitsort versetzen können, sofern dieser nicht eindeutig vertraglich festgelegt wurde oder ein Versetzungsvorbehalt vereinbart wurde (vgl. BAG, Urteil vom 28. August 2013, 10 AZR 569/12). Die Ausübung des Direktionsrechts muss dabei nach billigem Ermessen unter Abwägung der wechselseitigen Interessen erfolgen, § 315 BGB (vgl. BAG, Urteil vom 24. Oktober 2018, 10 AZR 19/18).
Kommt es zu einer Konfliktlage, liegt es zunächst beim Arbeitgeber, diese nachzuweisen. Das bloße Behaupten eines innerbetrieblichen Konflikts genügt nicht (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil vom 31. Juli 2018, 3 Sa 130/18).
Es ist dann aber – so das BAG – Sache des Arbeitgebers zu entscheiden, wie er der Konfliktlagen begegnet (vgl. BAG, Urteil vom 24. Oktober 2018, 10 AZR 19/18). Der Arbeitgeber ist nicht angehalten, zuvor eine Abmahnung gegenüber den Kontrahenten auszusprechen, da eine Abmahnung häufig nicht die angestrebte Verbesserung der Arbeitsabläufe bewirkt (vgl. BAG, Urteil vom 24. April 1996, 5 AZR 1031/94). Das LAG Mecklenburg-Vorpommern geht in seiner Entscheidung noch einen Schritt weiter und urteilt, dass der Arbeitgeber nicht einmal angehalten ist, zunächst den Ursachen und Verantwortlichkeiten des entstandenen Konfliktes auf den Grund zu gehen. So ist es möglich, auch „den Falschen“ zu versetzen, also ggf. „das unschuldige Opfer“ des Konfliktes.
Das LAG Berlin-Brandenburg schließt sich der Entscheidung, unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das LAG Mecklenburg-Vorpommern, in einer neueren Entscheidung aus Oktober 2019 an (vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2. Oktober 2019, 20 Sa 264/19).
Dass das Unterlassen von Anhörungspflichten nicht zur Rechtswidrigkeit der Versetzung führt, hatte das BAG bereits zu § 4 Abs. 1 S. 2 TVöD (vgl. BAG, Urteil vom 24. Mai 2018, 6 AZR 116/17) und zu § 4 S. 3 MTV Immobilien 1998 (vgl. BAG, Urteil vom 18. Oktober 2017, 10 AZR 330/16) entschieden. Die Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern ergänzt diese Entscheidungen. Trotz dessen sollten Arbeitnehmer im Rahmen einer Versetzung zuvor angehört werden, wenn eine Anhörungspflicht besteht, da anderenfalls das Risiko besteht, dass die Interessen des Arbeitnehmers nicht hinreichend Beachtung gefunden haben, § 315 BGB.