Update Arbeitsrecht Oktober 2022
Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten – Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses nach Abberufung eines Geschäftsführers - Entgeltfortzahlungsansprüche
LAG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Juli 2022 – 3 Ta 90/22
Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Arbeitsgerichten – Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses nach Abberufung eines Geschäftsführers - Entgeltfortzahlungsansprüche
Macht ein ehemaliger Geschäftsführer nach Abberufung bei streitiger (Neu-)Begründung eines Arbeitsverhältnisses Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geltend und fehlt eine vertragliche Regelung zu einem solchen Anspruch, sodass er allein auf § 3 Abs. 1 EFZG gestützt werden kann, begründet dieser Teil der Klage einen sog. Sic-non Fall, in dem allein aufgrund der doppelrelevanten Rechtsansicht des Klägers, im Streitzeitraum Arbeitnehmer gewesen zu sein, insoweit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten begründet ist.
Sachverhalt
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte anlässlich einer sofortigen Beschwerde gegen einen Rechtswegbeschluss des Arbeitsgerichts Wuppertal zu entscheiden, ob u.a. im Falle der Geltendmachung von Entgeltfortzahlungsansprüchen eines abberufenen Gesellschafters der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist.
Der Kläger war zunächst bei der Beklagten auf Grundlage eines Anstellungsvertrages als Verkaufsleiter tätig. Im Laufe dieses Anstellungsvertrages vereinbarten die Parteien, dass der Kläger fortan als Geschäftsführer bei der Beklagten tätig werden solle. Nachdem der Kläger ca. ein Jahr als Geschäftsführer bei der Beklagten tätig gewesen ist, erhielt dieser von der Beklagten ein Schreiben, in welchem die Beklagte ihm mitteilte, dass der Kläger mit sofortiger Wirkung wieder als Verkaufsleiter tätig werden solle, was der Kläger im Anschluss hieran auch tat. Gleichzeitig kündigte die Beklagte den Geschäftsführerdienstvertrag, allerdings nicht mit sofortiger, sondern erst mit Wirkung zum Ende des Jahres. Der Kläger wurde bei der Beklagten sodann wieder als Verkaufsleiter tätig, während gleichzeitig noch der Geschäftsführerdienstvertrag mangels sofort wirkender Kündigung weiterlief.
Zum Rechtsstreit kam es sodann, als der Kläger in der Folge arbeitsunfähig erkrankt war und für diesen Zeitraum Entgeltfortzahlung gegenüber der Beklagten einforderte. Weil die Beklagte nicht zahlte, erhob der Kläger vor dem Arbeitsgericht Wuppertal Klage. Auch machte der Kläger Schadensersatzansprüche wegen der Vorenthaltung eines Firmenwagens für einen anderen Zeitraum sowie Ansprüche auf Urlaubsabgeltung vor dem Arbeitsgericht Wuppertal geltend.
Der Kläger vertrat die Auffassung, dass das Arbeitsgericht zuständig sei, weil er vor Eintritt der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit bereits als Geschäftsführer abberufen und wieder als Verkaufsleiter eingestellt worden sei, sodass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus dem Arbeitsverhältnis als Verkaufsleiter herrühre und nicht auf die Zeit als Geschäftsführer. Es liege ein sog. Sic-non-Fall vor, bei dem die bloße Behauptung, Arbeitnehmer zu sein, die Rechtswegzuständigkeit zu den Arbeitsgerichten begründe.
Die Beklagte vertrat hingegen die gegenteilige Auffassung, dass der Rechtsweg zum Arbeitsgericht Wuppertal bereits nicht eröffnet sei und der Kläger vielmehr vor dem Landgericht Wuppertal hätte Klage erheben müssen. Die Beklagte vertrat die Auffassung, dass das Anstellungsverhältnis als Verkaufsleiter nicht mehr bestanden habe, weil der Kläger bei der Beklagten als Geschäftsführer, und damit nicht im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses, tätig wurde. Eine Neubegründung des Anstellungsverhältnis als Verkaufsleiter läge ebenfalls nicht vor.
Das Arbeitsgericht Wuppertal hat durch Beschluss sodann seine Unzuständigkeit erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Wuppertal verwiesen. Hiergegen richtete sich die sofortige Beschwerde des Klägers vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf.
Entscheidung
Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat den Verweisungsbeschluss des Arbeitsgerichts Wuppertal abgeändert und den Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten für zulässig erklärt.
Nach Auffassung des LAG Düsseldorf war das Arbeitsgericht Wuppertal gemäß §§ 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. a), 5 Abs. 1 S. 1 ArbGG zuständig, weil eine bürgerlich-rechtliche Streitigkeit zwischen dem Kläger als Arbeitnehmer und der Beklagten als Arbeitgeberin aus einem Arbeitsverhältnis vorlag. Der Kläger wurde wieder als Verkaufsleiter tätig, nachdem er das Schreiben der Beklagten in seiner damaligen Funktion als Geschäftsführer erhalten hatte.
Auch lag nach Auffassung des LAG Düsseldorf hinsichtlich des Entgeltfortzahlungsanspruches ein sog. sic-non-Fall vor. Ein sogenannter sic-non-Fall liegt vor, wenn die Klage ausschließlich dann begründet sein kann, wenn das streitgegenständliche Rechtsverhältnis als Arbeitsverhältnis einzuordnen ist.
Neben dem sogenannten sic-non-Fall gibt es auch den sogenannten „aut-aut-Fall“ und den „et-et-Fall“.
Ein „aut-aut-Fall“ liegt vor, wenn der geltend gemachte Anspruch entweder auf eine arbeitsrechtliche oder allgemeine zivilrechtliche Anspruchsgrundlage gestützt werden kann, wobei beide Anspruchsgrundlagen nicht gleichzeitig vorliegen können. Hier muss das Gericht schon im Rahmen der Zulässigkeit prüfen, ob die arbeitsrechtliche Anspruchsgrundlage vorliegt und damit der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten eröffnet ist. Ein „et-et-Fall“ liegt vor, wenn der geltend gemachte Anspruch sowohl auf eine arbeitsrechtliche als auch eine bürgerlich-rechtliche Anspruchsgrundlage gestützt werden kann. Dies ist beispielsweise bei einer fristlosen Kündigung gemäß § 626 BGB der Fall, die entweder im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsvertrages ausgesprochen werden kann. Auch hier muss das Gericht die einschlägige Anspruchsgrundlage schon im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung klären.
In einem wie dem vorliegenden sic-non-Fall genügt es nach Auffassung des LAG Düsseldorf für die Annahme der Zuständigkeit der Arbeitsgerichte, wenn der Kläger eine sogenannte „doppeltrelevante Tatsache“ behauptet. Doppelt relevant war hier die Behauptung des Klägers, es läge ein Arbeitsverhältnis vor und ihm stehe ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus diesem Arbeitsverhältnis zu. Die doppelte Relevanz ergibt sich daraus, dass diese Behauptung sowohl für die Zulässigkeit als auch die Begründetheit von Bedeutung ist. Für die Zulässigkeit von Bedeutung war sie, weil das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses eine Zulässigkeitsvoraussetzungen in einem Rechtsstreit vor den Arbeitsgerichten ist. Für die Begründetheit war sie von Bedeutung, weil der Kläger nur als Arbeitnehmer einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben konnte. Diese Voraussetzungen lagen nach Auffassung des LAG Düsseldorf hinsichtlich des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung vor.
Was die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche auf Schadensersatz wegen Vorenthaltung eines Dienstwagens und des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung betrifft, so hat das LAG Düsseldorf auch in diesen Fällen die Rechtswegzuständigkeit der Arbeitsgerichte für gegeben angesehen.
Zwar lag nach Auffassung des LAG Düsseldorf für diese Ansprüche kein sog. Sic-non-Fall vor, weil der Schadensersatzanspruch nicht ausschließlich aus einem Arbeitsverhältnis, sondern auch aus dem Schuldverhältnis des Geschäftsführerdienstvertrages gemäß § 280 Abs. 1 BGB folgen könnte und der Anspruch auf Urlaubsabgeltung gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG aufgrund einer richtlinienkonformen Auslegung auch aus einem Geschäftsführerdienstvertrages resultieren könnte.
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten war nach Auffassung des LAG Düsseldorf jedoch deshalb gegeben, weil der Schadens- und der Urlaubsabgeltungsanspruch ebenfalls aus dem erneut begründeten Anstellungsverhältnis als Verkaufsleiter resultieren könnte. Dieses Anstellungsverhältnis lebte nach Auffassung des LAG Düsseldorf durch die Abberufung des Klägers als Gesellschafter wieder auf, sodass es die Grundlage für die vom Kläger geltend gemachten Ansprüche bilden konnte.
Praxistipp
Die Entscheidung des LAG Düsseldorf zeigt, dass auch die Frage des zulässigen Rechtswegs für die Parteien von grundlegender Bedeutung sein kann. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob eine Klage vor den Arbeitsgerichten oder vor dem Amts- bzw. Landgericht erhoben werden soll.
Unterschiede zwischen den verschiedenen Gerichten ergeben sich beispielsweise daraus, dass bei Klagen vor den Arbeitsgerichten, anders als vor den Landgerichten, in erster Instanz kein Anwaltszwang herrscht. Auch tragen die Parteien in Verfahren vor den Arbeitsgerichten im Falle der Einschaltung eines Rechtsanwaltes, anders als in Verfahren vor den Amts- oder Landgerichten, ihre Anwaltskosten grundsätzlich selbst. Die obsiegende Partei kann ihre Anwaltskosten in Verfahren vor den Arbeitsgerichten in erster Instanz also grundsätzlich nicht bei der unterliegenden Gegenseite geltend machen.