Update Arbeitsrecht September 2020
Arbeitsvertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag
BAG, Urteil vom 13. Mai 2020, 4 AZR 528/19
Die in einem Arbeitsvertrag als „Tarifgehalt“ benannte Vergütung des Arbeitnehmers ist als „dynamische Bezugnahmeklausel“ zu verstehen. Sofern arbeitsvertraglich eine Bezugnahme „auf die jeweils für die Gesellschaft geltenden Tarifverträge“ vereinbart wurde, beschränkt sich diese jedoch auf die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bei dem Arbeitgeber zur Anwendung kommenden verbindlichen Tarifverträge. Tarifvertragliche Entgelterhöhungen kann ein Arbeitnehmer daher nur erfolgreich geltend machen, solange der Arbeitgeber nicht an andere (neue) Tarifverträge gebunden ist.
SACHVERHALT
Die Parteien streiten über die Anwendung des ERA-Entgeltabkommens für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis. In dem zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Beklagten im Jahr 2014 geschlossenen Vertrag, vereinbarten diese in § 2 u. a., dass „die für die Gesellschaft jeweils geltenden Tarifverträge in ihrer jeweils geltenden Fassung Anwendung finden“ sollen. Zudem wurde auf den gegenwärtig einschlägigen Flächentarifvertrag und einen zwischen der IG Metall und der S KG geschlossenen Haustarifvertrag hingewiesen. In § 4 des Arbeitsvertrags heißt es ferner: „Sie werden auf Basis der derzeit bei der Gesellschaft zur Anwendung kommenden Tarifverträge entsprechend ihrer Tätigkeit eingestuft (…) Tarifgehalt EG10“. Der Kläger ist darüber hinaus Mitglied der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall).
Die Rechtsvorgängerin gab die Tarifentgelterhöhungen entsprechend den regionalen Tarifverträgen für die Metall- und Elektroindustrie einschließlich des ERA-Entgeltabkommens an die Arbeitnehmer weiter, ohne an diese Tarifbestimmungen gebunden gewesen zu sein. Diese Praxis führte sie jedoch seit 2016 nicht fort.
Im Januar 2017 ging das Arbeitsverhältnis des Klägers im Wege eines Betriebsteilübergangs auf die Beklagte über, welche im Juli 2017 mit der IG Metall einen „Firmentarifvertrag“, der eine Erhöhung lediglich i. H. v. 1,3 % ab April 2017 vorsah, abschloss.
Der Kläger begehrt nun von der Beklagten die seit 2016 gemäß ERA-Entgeltabkommens vorgesehene Entgelterhöhung.
Die Vorinstanzen waren sich uneinig, das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben (ArbG Düsseldorf 08.02.2018, 15 Ca 3392/17), während das Landesarbeitsgericht sie abgewiesen hat (LAG Düsseldorf 22.05.2019, 7 Sa 159/18).
ENTSCHEIDUNG
Die Revision des Klägers hatte nur teilweise Erfolg.
Nach der Auffassung des BAG enthält § 4 des zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin geschlossenen Arbeitsvertrags mit dem darin enthaltenen Verweis auf das „Tarifgehalt“ eine eigenständige zeitdynamische Bezugnahme auf die Entgeltregelungen der Flächentarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens und den Haustarifvertrag.
Diese arbeitsvertragliche Inbezugnahme sei inhaltlich jedoch auf den Zeitraum, in dem die Arbeitgeberin nach § 3 Abs. 1 TVG nicht tarifgebunden war, beschränkt. Das in § 4 des Arbeitsvertrags genannte Tarifgehalt beziehe sich auf die „derzeit“ bei der Gesellschaft zur Anwendung kommenden Tarifverträge. Aus dem systematischen Zusammenhang von § 4 und § 2 des Arbeitsvertrags sei daher für einen Arbeitnehmer erkennbar, dass die „neben“ der Bezugnahmeklausel in § 2 des Arbeitsvertrags bestehende Vergütungsregelung in § 4 des Arbeitsvertrags, die auf die im Zeitpunkt des Vertragsschlusses angewandte Regelung verweist, enden soll, sobald der Arbeitgeber an andere Tarifverträge nach § 3 Abs. 1 TVG gebunden ist.
Die so verstandene Bezugnahmeklausel sei nach § 613a Abs. 1 S. 1 BGB unverändert auf die Beklagte übergegangen.
Hieraus folge, dass dem Kläger nur bis zum Inkrafttreten des Firmentarifvertrags die geltend gemachten Erhöhungen des ERA-Entgeltabkommens gemäß der arbeitsvertraglichen Inbezugnahme zustehen. Mit dem Eintritt der Tarifgebundenheit des Arbeitgebers durch Abschluss des Firmentarifvertrags, habe der Arbeitsvertrag auf die nach dem Firmentarifvertrag zu zahlende Verfügung verwiesen.
Ein Günstigkeitsvergleich sei schließlich aufgrund der Identität des vertraglich in Bezug genommenen und des kraft beidseitiger Tarifgebundenheit geltenden Tarifvertrags entfallen.
PRAXISTIPP
In der Praxis finden Tarifverträge häufig kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme im Arbeitsverhältnis Anwendung. Zu unterscheiden sind drei Arten von Bezugnahmeklauseln. Zum einen gibt es statische, die nur auf einen bestimmten Tarifvertrag in einer bestimmten Fassung verweisen. Ferner sind zu unterscheiden sog. „kleine dynamische Verweisungen“ und „große dynamische Verweisungen“. Um letztere handelte es sich auch im hier zu entscheidenden Fall. Danach gelten die jeweils einschlägigen Tarifverträge in ihrer jeweils zeitlich gültigen Fassung (BAG 21.11.2012, 4 AZR 85/11), während „kleine dynamische Verweisungen“ auf einen bestimmten Tarifvertrag in der jeweils zeitlich gültigen Fassung verweist (BAG 09.05.2010, 5 AZR 122/09).
Im Falle eines Betriebs(teil-)übergangs – wie hier – kann eine „große dynamische Verweisung“ im Rahmen des Arbeitsvertrags vorteilhaft sein, sofern der neue Arbeitgeber selbst auch an (andere) Tarifverträge gebunden ist oder den Abschluss eines verbindlichen Tarifvertrags plant. In diesem Fall kann sich der Arbeitnehmer – anders als bei einer „kleinen dynamischen Verweisung“ oder einer „statischen Verweisung“ – nicht auf die Entgelterhöhung eines ehemals (beim Rechtsvorgänger) verbindlichen Tarifvertrags berufen. Der im Arbeitsvertrag enthaltene Verweis bezieht sich dann ausschließlich auf die vom neuen Arbeitgeber verbindlich anzuwendenden Tarifverträge.
Arbeitgeber sollten daher zunächst gründlich abwägen, welche Art der Verweisung für sie konkret von Vorteil ist und sodann eine möglichst genaue Formulierung im Arbeitsvertrag verwenden, um Klarheit zu schaffen, auf welche Tarifverträge Bezug genommen werden soll.
Insbesondere sollte der Begriff „Tarifgehalt“ im Arbeitsvertrag unbedingt vermieden werden. Das BAG hat bereits mehrfach entschieden, dass ein Arbeitnehmer bei dieser Formulierung regelmäßig davon ausgehen kann, dass es sich um eine dynamische Verweisung auf die jeweils geltenden Tarifverträge handelt (BAG 12.12.2018, 4 AZR 271/18; BAG 12.12.2018, 4 AZR 123/08; BAG 25.01.2017, 4 AZR 521/15; BAG 25.10.2017, 4 AZR 375/16; BAG 06.07.2015, 4 AZR 51/14).