30.10.2020Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Oktober 2020

FAQ zur Neueinstellung und Entfristung während Kurzarbeit

Im Rahmen unseres Juli-Newsletters 2020 haben wir bereits über die Probleme, die Neueinstellungen während Kurzarbeit mit sich bringen können, berichtet. 

Was bedeutet aber eigentlich „während“ Kurzarbeit genau und umfasst eine „Neueinstellung“ auch z. B. die Neubesetzung einer Stelle nach einer arbeitnehmerseitigen Kündigung, die Übernahme eines Auszubildenden oder Werkstudenten im Anschluss an seine abgeschlossene Berufsausbildung bzw. sein Studium sowie die Entfristung von Arbeitsverträgen? Die Rechtslage ist für betroffene Arbeitgeber – insbesondere aufgrund unterschiedlicher Auskünfte der Agentur für Arbeit – meist unklar. Der nachfolgende Beitrag soll endlich „Licht ins Dunkeln“ bringen. 

1. Wann erfolgt eine Neueinstellung „während“ bzw. „trotz“ Kurzarbeit?

Für viele Unternehmen stellt sich zunächst die Frage, ob sie sich „in Kurzarbeit“ befinden, obwohl derzeit keine ihrer Arbeitnehmer in Kurzarbeit beschäftigt werden und nur eine noch laufende (bereits von der Agentur für Arbeit bewilligte) Anzeige des Arbeitsausfalls (ohne dass jedoch aktuell Leistungsanträge gestellt werden) noch im Raum steht?

In diesem Fall befindet sich der Betrieb des Arbeitgebers nicht mehr „in Kurzarbeit“. 

Der Anerkennungsbescheid der Agentur für Arbeit hinsichtlich des vom Arbeitgeber angezeigten Arbeitsausfalls ist lediglich eine Entscheidung über den Grund des Kurzarbeitergeld-Anspruchs. Er stellt bindend fest, dass die Voraussetzungen des erheblichen Arbeitsausfalls und der betrieblichen Voraussetzungen des Kurzarbeitergeldes gemäß §§ 96 und 97 SGB III vorliegen. Er legt jedoch weder die genaue Lage bzw. Dauer des Bezugs von Kurzarbeitergeld bindend fest, noch verpflichtet er den Arbeitgeber, die angezeigte Kurzarbeit überhaupt oder in dem gesamten geplanten Ausmaß durchzuführen (BeckOK SozR/Bieback 58. Ed. 01.09.2020, SGB III § 99 Rn. 17; Gagel/Bieback SGB III 78 EL 05.2020, § 96 Rn. 101). 

Arbeitgeber, die ihre Arbeitnehmer wieder voll beschäftigen und kein Kurzarbeitergeld mehr beziehen, können daher – auch wenn sie derzeit nicht mit Sicherheit absehen können, ob sie künftig nochmals auf den Bezug von Kurzarbeitergeld für ihre Arbeitnehmer angewiesen sein werden – Neueinstellungen vornehmen. 

Solange die Arbeitsverträge mit den „neuen“ Arbeitnehmern vor einer (erneuten) Beantragung von Kurzarbeitergeld geschlossen wurden, besteht für den Arbeitgeber kein Risiko hinsichtlich der Versagung von Kurzarbeitergeld für diesen neu eingestellten bzw. die bereits vorhandenen Arbeitnehmer. 

2. Handelt es sich bei der Übernahme eines Auszubildenden bzw. Werkstudenten nach Abschluss seiner Berufsausbildung bzw. seines Studiums auch um eine „Neueinstellung“?

Im Rahmen der Leistungsanträge für den Bezug von Kurzarbeitergeld bedarf es stets der Angabe, wie viele Arbeitnehmer der Arbeitgeber in der Regel im Betrieb beschäftigt. Sofern sich diese Angabe nach erstmaliger Beantragung von Kurzarbeitergeld erhöht, wird die Agentur für Arbeit „hellhörig“ und prüft, ob die Voraussetzungen eines erheblichen Arbeitsausfalls tatsächlich noch vorliegen bzw. seit Beginn der Beantragung von Kurzarbeitergeld vorlagen. 

Was bedeutet "in der Regel im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer"?

Die Regelarbeitnehmerzahl ist nicht die durchschnittliche Beschäftigtenzahl in einem bestimmten Zeitraum, sondern die normale Beschäftigtenzahl des Betriebs, d. h. diejenige Personalstärke, die für den Betrieb im Allgemeinen, also bei regelmäßigem Gang des Betriebs kennzeichnend ist (BAG 16.11.2017, 2 AZR 90/17). Zeiten mit außergewöhnlich hohen Geschäftsanfall (z. B. Weihnachtsgeschäft, Jahresabschlussarbeiten, Schlussverkauf) oder niedrigem Geschäftsanfall (z. B. Ferienzeiten, Nachsaison) sind hierbei nicht zu berücksichtigen (BAG 24.02.2005, 2 AZR 207/04). 

Sind Auszubildende "regelmäßig im Betrieb Beschäftigte"?

Gemäß § 96 Abs. 1 S. 2 SGB III sind Auszubildende bei der Regelarbeitnehmerzahl ausdrücklich nicht zu berücksichtigen. 

§ 98 Abs. 1 Nr. 1c SGB III stellt jedoch klar, dass die Beschäftigung im Anschluss an eine Berufsausbildung einen Sonderfall der Fortsetzung der Versicherungspflicht darstellt und die „Übernahme“ eines Auszubildenden nach dem Ende des Ausbildungsverhältnisses daher nicht als „gewöhnliche Neueinstellung“ zu behandeln ist. Die Versicherungspflicht fängt zwar mit der „Übernahme“ in das Arbeitsverhältnis von neuem an, diese rechtliche Zäsur im Versicherungsverhältnis soll jedoch dem Bezug von Kurzarbeitergeld ausdrücklich nicht entgegenstehen. 

Dem Arbeitgeber soll die Übernahme eines Auszubildenden auch in Zeiten von Kurzarbeit ermöglicht werden. Er läuft deshalb weder Gefahr, dass die Agentur für Arbeit den angezeigten Arbeitsausfall rückwirkend ablehnen kann, noch, dass er für den übernommenen Auszubildenden – im Falle eines weiteren Arbeitsausfalls – kein Kurzarbeitergeld beantragen kann. 

Gilt das auch für Werkstudenten nach Abschluss ihres Studiums?

Bei Werkstudenten ist die Situation eine andere. Werkstudenten sind von Anfang an bei der Zahl der in der Regel im Betrieb Beschäftigten zu berücksichtigen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob ein Arbeitnehmer beitragspflichtig oder leistungsberechtigt ist (BeckOK SozR/Bieback, 58. Ed. 01.09.2020, SGB III, § 96 Rn. 39). 

Allerdings sind Werkstudenten gemäß § 27 Abs. 4 SGB III nicht versicherungspflichtig und haben ohnehin keinen Anspruch auf Kurzarbeitergeld (Gagel/Bieback SGB III 78 EL 05.2020, § 98 Rn. 25). 

Ferner ist zu berücksichtigen, dass Werkstudenten nur einer Teilzeitbeschäftigung neben dem Studium nachgehen. Eine Übernahme des Werkstudenten nach Beendigung seines Studiums ist mit wesentlichen Veränderungen hinsichtlich der Arbeitszeit sowie versicherungsrechtlichen Aspekten verbunden. Aus diesen Gründen ist bei der Übernahme eines Werkstudenten nach Beendigung seines Studiums wohl von einer Neueinstellung auszugehen, die nur bei Vorliegen eines sachlichen Grundes möglich ist. 

3. Können arbeitnehmerseitig gekündigte Arbeitsplätze während Kurzarbeit „nachbesetzt“ werden oder handelt es sich hierbei ebenfalls um eine „Neueinstellung“?

Bei einer Neueinstellung besteht regelmäßig das Risiko, dass die Agentur für Arbeit an der Unvermeidbarkeit des Arbeitsausfalls im Sinne des § 96 Abs. 1 SGB III zweifelt und ihren Anerkennungsbescheid rückwirkend „zurücknimmt“ (vgl. unser Juli 2020-Newsletter). 

Bei einer Nachbesetzung eines Arbeitsplatzes wird kein bestehendes Arbeitsverhältnis fortgeführt, sondern ein neues begründet, so dass man hier grundsätzlich von einer Neueinstellung ausgehen muss. 

Hintergrund ist, dass der Arbeitgeber zunächst die von ihm beschäftigten Arbeitnehmer vollständig aus der Kurzarbeit zurückzuholen soll, bevor er neue Arbeitnehmer einstellt. 

Eine Neueinstellung ist jedoch (ausnahmsweise) möglich, z. B. wenn ein Arbeitnehmer mit unentbehrlichen Fachkenntnissen gekündigt hat und dadurch eine Lücke im Betrieb entstanden ist, die nicht von anderen, sich in Kurzarbeit befindlichen Arbeitnehmern, geschlossen werden kann (Brand/Kühl, SGB III 8. Aufl. 2018, § 98 Rn. 6) oder wenn die Neueinstellung in einer Abteilung erfolgt, die gar nicht von Kurzarbeit betroffen ist und diese Position von keinem der in Kurzarbeit befindlichen Arbeitnehmer des Arbeitgebers besetzt werden kann. 

4. Kann ich bereits vor Einführung von Kurzarbeit befristet angestellten Arbeitnehmern während des Bezugs von Kurzarbeitergeld einen unbefristeten Arbeitsvertrag anbieten?

Befristet beschäftigte Arbeitnehmer müssen – wie z. B. auch gekündigte und von der Arbeit freigestellte Arbeitnehmer – aus Gründen der Klarheit und Berechenbarkeit bei den „in der Regel im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmern“ mitgezählt werden (Gagel/Bieback, 78. EL 05.2020, SGB III § 96 Rn. 184).

Im Falle einer geplanten Entfristung während des Bezugs von Kurzarbeit sollten Arbeitgeber zunächst prüfen, ob die Befristung tatsächlich wirksam erfolgt ist, oder ob ggf. eine unwirksame Befristung vorliegt (z. B. im Falle einer Überschreitung der maximalen Befristungsdauer von zwei Jahren bei einer sachgrundlosen Befristung). 

a) Wirksam befristete Verträge während Kurzarbeit entfristen?

Endet eine wirksame Befristung und möchte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer weiterbeschäftigen, hat er grundsätzlich die Möglichkeit, das Arbeitsverhältnis erneut befristet zu verlängern, sofern dies im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen des TzBfG möglich ist, oder dem Arbeitnehmer eine unbefristete Beschäftigung anzubieten. 

Ob eine erneute Befristung bzw. die endgültige Entfristung des Arbeitsverhältnisses während des Bezugs von Kurzarbeitergeld mit einer „Neueinstellung“ gleichzusetzen ist, ist nicht gesetzlich geregelt und wurde bislang von den Gerichten auch nicht entschieden. 

Bis zum Ablauf der Befristung kann der befristet beschäftigte Arbeitnehmer unproblematisch Kurzarbeitergeld beziehen: Das Beschäftigungsverhältnis wird während der Dauer der Kurzarbeit nach § 98 Abs. 1 Nr. 1 a SGB III fortgesetzt. Insofern sind auch die persönlichen Voraussetzungen des § 98 SGB III bis zum Ablauf der Befristung erfüllt. 

Anders als bei unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen geht es bei befristeten Beschäftigungsverhältnissen, die von vornherein einen Beendigungstermin vorsehen und sodann enden, ohne dass es einer Kündigung bedarf, nicht darum, Kündigungen mittels Kurzarbeit zu verhindern.

Eine erneute Verlängerung der Befristung bzw. Entfristung bedarf zudem einer neuen vertraglichen Abrede, da das befristete Arbeitsverhältnis ansonsten mit Ablauf der Befristung automisch enden würde. Unabhängig davon, dürfte es sich für den Arbeitgeber zudem schwierig gestalten einen erheblichen Arbeitsausfall im Sinne des § 96 SGB III weiterhin zu rechtfertigen, wenn es ihm möglich ist, einen Arbeitnehmer trotz der Umstände unbefristet bzw. erneut befristet einzustellen.

Nach unserer Auffassung ist die Vereinbarung einer Verlängerung der Befristung bzw. eine Entfristung des Arbeitsverhältnisses daher wie eine „Neueinstellung“ zu behandeln und folglich nur in Ausnahmefällen während des Bezugs von Kurzarbeit möglich. 

Falls eine Verlängerung der Befristung bzw. die Entfristung während Kurzarbeit für den Arbeitgeber als unerlässlich erscheint, sollte er vorab mit der Agentur für Arbeit klären, ob dies ausnahmsweise möglich ist und sich eine entsprechende schriftliche Einwilligung aushändigen lassen. So können mögliche Schadensersatz- und Rückzahlungsansprüche vermieden werden. 

b) Möglichkeiten einer Korrektur von unwirksam erfolgten Befristungen während des Bezugs von Kurzarbeitergeld?

Sofern sich die Befristung als unwirksam herausstellen sollte, da zum Beispiel im Falle einer sachgrundlosen Befristung die zulässige Gesamtdauer von zwei Jahren überschritten oder die Befristung mehr als dreimal verlängert wurde, besteht für den Arbeitgeber (neben der Möglichkeit, sich einvernehmlich mit der Agentur für Arbeit zu einigen) noch die Möglichkeit, die (rückwirkend eingetretene) Entfristung gemäß § 16 TzBfG gerichtlich feststellen zu lassen. 

So kann der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während der Kurzarbeit ebenfalls „sicher“ unbefristet weiterbeschäftigen, ohne etwaige Auswirkungen auf den Bezug von Kurzarbeitergeld befürchten zu müssen. 

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