Newsletter Gesellschaftsrecht/M&A Dezember 2017
Aktuelle Rechtsprechung zur Bestimmung der angemessenen Barabfindung beim Squeeze-Out
OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.9.2017 – 12 W 1/17
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.12.2016 – I-26 W 25/12
Das OLG Karlsruhe bestätigt in einer aktuellen Entscheidung, dass der Börsenkurs grundsätzlich die Untergrenze der bei einem Squeeze-Out zu zahlenden Abfindung bildet, diese jedoch in Ausnahmefällen unterschritten werden darf. Nach Ansicht des OLG Düsseldorf scheidet eine Berechnung anhand des Börsenkurses aus, wenn diese das Verfahren zeitlich verzögert oder dieser nicht aussagekräftig ist, weil eine „effektive Informationsbewertung“ nicht sicher festgestellt werden kann.
Beschließt die Hauptversammlung die Übertragung sämtlicher Aktien der Minderheitsaktionäre auf den Hauptaktionär, der mindestens 95 Prozent der Aktien der Gesellschaft hält (sog. Squeeze-Out), steht den Minderheitsaktionären nach § 327b AktG ein Anspruch auf angemessene Barabfindung zu. Angemessen ist eine Abfindung, die dem ausscheidenden Aktionär eine volle Entschädigung für den Wert seiner verlorenen Beteiligung an dem Unternehmen verschafft. Minderheitsaktionäre können die Angemessenheit der vom Hauptaktionär festgelegten Barabfindung im Spruchverfahren gerichtlich überprüfen lassen.
Umsatzgewichteter Börsenkurs stellt grundsätzliche Untergrenze der Barabfindung dar
Gemäß der Rechtsprechung des BGH bildet der Börsenkurs die Untergrenze der Barabfindung, ermittelt aufgrund eines nach Umsatz gewichteten Durchschnittskurses innerhalb einer dreimonatigen Referenzperiode vor der Bekanntmachung der Maßnahme. Dies bestätigend verweist das OLG Karlsruhe auf § 5 Abs. 3 WpÜG-AngebotsVO als Ausgangspunkt. Die Berechnung umfasst damit alle Geschäfte, die in den fraglichen Aktien in den drei Monaten vor dem Stichtag an Börsen getätigt wurden.
Unterschreitung des Börsenkurses möglich, wenn dieser den Verkehrswert der Aktien nicht widerspiegelt, etwa im Fall der Marktenge
Eine Unterschreitung des Börsenkurses ist nach Ansicht des Senats ausnahmsweise möglich, wenn der Börsenkurs den Verkehrswert der Aktie nicht widerspiegelt. Dies kann bei Entstehen einer Marktenge der Fall sein, weil mindestens 95 Prozent der Aktien unverkäuflich waren und ungewiss ist, ob der Minderheitsaktionär seine Aktien tatsächlich zum Börsenkurs hätte verkaufen können. Allerdings ist bei einem Squeeze-Out angesichts des Quorumerfordernisses des § 327a Abs. 1 Satz 1 AktG der Streubesitz typischerweise gering und deshalb die verbliebene geringe Zahl der frei handelbaren Aktien allein nicht geeignet, um die Unbeachtlichkeit des Börsenwertes festzustellen.
Beweislast für Marktenge liegt beim Hauptaktionär
Vielmehr muss der Mehrheitsaktionär beweisen, dass der Börsenkurs nicht dem Verkehrswert entspricht, etwa weil längere Zeit überhaupt kein Handel in den Aktien der Gesellschaft stattgefunden hat. Gemessen hieran bejaht das OLG Karlsruhe eine Marktenge, wenn kumulativ während der letzten drei Monate vor dem Stichtag an weniger als einem Drittel der Börsentage Börsenkurse festgestellt wurden und mehrere nacheinander festgestellte Börsenkurse um mehr als 5 Prozent voneinander abgewichen sind (vgl. § 5 Abs. 4 WpÜG-AngebotsVO). An den Aktienumsatz als solchen können wegen der erforderlichen Kapitalmehrheit und der deswegen kleinen Anzahl handelbarer Aktien keine hohen Anforderungen gestellt werden.
Bestimmung der Barabfindung allein anhand des Ertragswertverfahrens bei zeitlicher Verzögerung oder fehlender „effektiver Informationsbewertung“
Im Fall des OLG Düsseldorf schied die Berechnung der Barabfindung anhand des Börsenkurses aus, weil diese das Verfahren bereits seit Jahren verzögerte. Zudem war der Börsenkurs nicht aussagekräftig, weil eine „effektive Informationsbewertung“ nicht sicher festgestellt werden konnte. Im streitgegenständlichen Fall lag eine Sondersituation vor: Der Börsengang der betreffenden Gesellschaft erfolgte zu einem damaligen Dax-Höchststand, das Squeeze-Out-Verfahren wurde zum Zeitpunkt eines historischen Dax-Tiefstandes infolge einer „Internetblase“ durchgeführt, sodass weiterer Aufklärungsbedarf zur genauen Markt- und Börsensituation erforderlich war. Aufgrund dieser Umstände hielt der Senat eine Barabfindung auf der Grundlage des Börsenkurses ohne weitere Erörterung nicht für sachgerecht und stellte stattdessen allein auf die Ertragswertmethode ab.
Fazit
Die aktuellen Entscheidungen des OLG Karlsruhe und des OLG Düsseldorf bestätigen die bisherige Rechtsprechung, dass der Börsenkurs die Untergrenze der angemessenen Barabfindung bildet. Die Entscheidungen zeigen jedoch, wie wichtig die Berücksichtigung der Umstände der konkreten Gesellschaft sowie der allgemeinen Marktverhältnisse für die Berechnung ist und eine Unterschreitung des Börsenkurses rechtfertigen kann. Solche Ausnahmefälle können bei Sondersituationen an der Börse und dem Erfordernis weiterer zeitlich intensiver Aufklärung oder im Fall der Marktenge vorliegen, wobei die Tatsache der wenigen verbleibenden Zahl frei handelbarer Aktien allein nicht zur Begründung der Unbeachtlichkeit des Börsenwertes ausreicht. Vielmehr muss der Hauptaktionär nachweisen, dass längere Zeit kein Handel mit den Aktien der Gesellschaft stattgefunden hat und der Börsenkurs nicht dem Verkehrswert der Aktien entspricht.