01.03.2014Fachbeitrag

Newsletter Arbeitsrecht März 2014

Außerordentliche Verdachtskündigung – Nachschieben von Kündigungsgründen möglich?

BAG, Urteil vom 23.5.2013, 2 AZR 102/12

In einem Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung sind auch dem Arbeitgeber später bekannt gewordene Umstände zu berücksichtigen. Eine vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist selbst im Fall neuer Kündigungsgründe in diesem Fall nicht notwendig.

Der Kläger war bei der Beklagten als Bezirksleiter für den Vertrieb im Außendienst tätig. Im August 2010 entstand bei der Beklagten der Verdacht, der Kläger könne an betrügerischen Auftragsvergaben zu Lasten der Beklagten beteiligt gewesen sein. Die Beklagte hörte den Kläger im August und im September 2010 zu den Vorwürfen an, welche dieser bestritt, und sprach im Oktober 2010 eine fristlose Verdachtskündigung aus. Im Juli 2011 stieß die Beklagte auf neue Verdachtsmomente. Im November 2009 hatte demnach der Kläger einer Baugesellschaft für ein Bauvorhaben der Beklagten ca. EUR 9.000 in Rechnung gestellt. Aus den gefundenen Unterlagen ergab sich der Verdacht, dass die in Rechnung gestellten Bauleistungen nicht für die Beklagte, sondern auf dem Grundstück des Klägers ausgeführt wurden. Diese neuen Erkenntnisse führte die Beklagte während des Berufungsverfahrens in den Rechtsstreit ein, ohne den Kläger hierzu vorher nochmals angehört zu haben.

Einführung neuer Kündigungsgründe

Das BAG entschied, dass nicht nur die dem Arbeitgeber bei Kündigungsausspruch bekannten tatsächlichen Umstände von Bedeutung seien. Es müssten einerseits auch solche erst später bekannt gewordenen Umstände berücksichtigt werden, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken.  Andererseits können zudem solche Tatsachen in den Prozess eingeführt werden, die den Verdacht eines eigenständigen – neuen – Kündigungsvorwurfs begründen. Voraussetzung ist aber jeweils, dass die neuen Tatsachen bei Ausspruch der Kündigung objektiv schon gegeben, dem Arbeitgeber zu diesem Zeitpunkt nur noch nicht bekannt war.

Keine neue Anhörung

Führt der Arbeitgeber lediglich verdachtserhärtende neue Tatsachen in den Rechtsstreit ein, bedürfe es, so das BAG, auch keiner erneuten vorherigen Anhörung des Arbeitnehmers, welche bei einer Verdachtskündigung normalerweise Wirksamkeitsvoraussetzung ist. Das BAG verweist darauf, dass der Arbeitnehmer bereits zu dem Kündigungsvorwurf angehört worden sei. Zudem könne sich der Arbeitnehmer gegen den verstärkten Tatver dacht ohne weiteres im Kündigungsschutzprozess verteidigen.

Das gleiche gelte für die Einführung neuer Tatsachen in das Kündigungsschutzverfahren, die den Verdacht einer weiteren Pflichtverletzung begründen. Auch hier sieht das BAG die Notwendigkeit einer  erneuten Anhörung nicht. Schließlich soll das Anhörungserfordernis den Arbeitgeber vor voreiligen Entscheidungen bewahren und der Gefahr begegnen, dass ein Unschuldiger von der Kündigung betroffen wird. Sei jedoch – wie beim „Nachschieben“ von Kündigungsgründen – die Kündigung dem Arbeitnehmer bereits zugegangen, könne eine erneute Anhörung den Ausspruch der Kündigung nicht mehr verhindern. Die Rechte des Arbeitnehmers seien auch ohne Anhörung gewahrt, da dieser sich in dem bereits anhängigen Kündigungsschutzprozess gegen den neuen Tatverdacht verteidigen kann.

Anhörung des Betriebsrats

Zu beachten ist aber, dass das BAG die Anhörung des Betriebsrats analog § 102 Abs. 2 BetrVG zu den erweiterten Kündigungsgründen verlangt. Schließlich diene die Anhörung des Betriebsrats – anders als die Anhörung des Arbeitnehmers – nicht nur der Aufklärung des Sachverhalts, sondern sie soll dem Betriebsrat die Möglichkeit geben, auf den Kündigungsentschluss des Arbeitgebers aktiv einzuwirken. Da der Betriebsrat nicht an dem Kündigungsschutzprozess beteiligt sei, müsse er vor der Einführung der erweiterten Kündigungsgründe in den laufenden Prozess angehört werden.

Kündigungsfrist

Die Berücksichtigung nachgeschobener neuer Tatsachen scheitert laut BAG auch nicht an der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB. Diese Frist gilt nach dem Wortlaut der Bestimmung allein für die Ausübung des Kündigungsrechts.

Fazit

Auch nach Ausspruch einer Verdachtskündigung können neue Tatsache in den Kündigungsschutzprozess eingeführt werden. Bei der Einführung neuer Tatsachen, die den Verdacht einer weiteren Pflichtverletzung begründen, muss der betroffene Arbeitnehmer nicht noch einmal angehört werden, der Betriebsrat jedoch schon.

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