Sondernewsletter Brexit 29. Juli 2016
Beratungsthemen im Zusammenhang mit einem drohenden Brexit: Arbeitsrecht
Mögliche arbeitsrechtlichen Folgen des Brexit könnten nicht nur im UK beschäftigte Arbeitnehmer treffen, sondern auch Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten und deren Mitarbeiter.
Grenzüberschreitender Mitarbeitereinsatz
Das gilt insbesondere im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Mitarbeitereinsatz – also die Entsendung von deutschen Arbeitnehmern in das UK einerseits und die Beschäftigung von UKBürgern in Mitgliedstaaten der EU andererseits. Aufgrund der in Europa geltenden Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Dienstleistungsfreiheit ist eine europaweite Beschäftigung derzeit uneingeschränkt möglich. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ermöglicht es allen EU-Bürgern, in jedem EUMitgliedstaat zu wohnen und zu denselben Beschäftigungsbedingungen zu arbeiten wie ein inländischer Staatsbürger. Solange der EU-Austritt des UK noch nicht vollzogen ist, wird es hierbei auch bleiben. Unternehmen müssen aber im Hinblick auf den bevorstehenden Austritt ihre Entsendeverträge für Entsendungen aus dem UK und in das UK dahingehend anpassen, dass ein sofortiger Rückruf möglich wird für den Fall, dass die Entsendung unzulässig wird. Ob Entsendungen nach dem UK oder von dem UK nach dem Wirksamwerden des Brexit eines Visums, einer Arbeitserlaubnis oder sonstiger Genehmigungen bedürfen, hängt von dem Ergebnis der Austrittsverhandlungen ab.
Sozialversicherungsrechtliche Folgen von Arbeitnehmerentsendungen
Dann wird sich auch zeigen, welche sozialversicherungsrechtlichen Folgen eine Entsendung mit sich bringen wird und wie die Arbeitsbedingungen im UK nach dem EU-Austritt sein werden. Britische Gewerkschaften befürchten, dass die durch das europäische Recht vermittelten Arbeitnehmerschutzrechte nach dem Brexit nicht mehr auf demselben Niveau beibehalten werden. Da sich allerdings die europäischen Schutzvorschriften, wie beispielsweise zum Mutterschutz, zur Elternzeit sowie zur Gleichstellung und Antidiskriminierung, im UK seit Jahren etabliert haben und dort in nationales Recht umgesetzt wurden, ist es kaum vorstellbar, dass hiervon zeitnah gravierend zu Ungunsten der Arbeitnehmer abgewichen werden wird.
Rentenansprüche
Für Arbeitnehmer, die in unterschiedlichen EU-Mitgliedstaaten tätig sind, gilt seit 2004 eine EUVerordnung zur Rentenzahlungspflicht. Diese Verordnung legt fest, dass die Rentenzahlungspflicht möglichst in einem Land gebündelt werden soll.
Wenn das UK aus der EU austritt, gilt die Verordnung für das UK nicht mehr. Es sind dann viele bilaterale Regelungen nötig, wenn die Rentenzahlungsansprüche von EU-Bürgern, die im UK arbeiten, weiterhin gebündelt werden sollen. Umgekehrt gilt das natürlich auch für Staatsangehörige des UK, die im Ausland tätig sind.
Mitbestimmung
Für europaweit agierende Konzerne kann der Brexit auch Bedeutung für die Unternehmensmitbestimmung haben. Ein Problem kann sich vor allem bei Besetzung bestimmter grenzüberschreitender Arbeitnehmergremien ergeben. Die EU-Richtlinie zum Europäischen Betriebsrat und die Richtlinie zur Europäischen Aktiengesellschaft (SE) ermöglichen die Beteiligung britischer Beschäftigter bzw. ihrer Gewerkschaftsvertreter in diesen grenzüberschreitenden Gremien. Nach dem Austritt des UK aus der EU wird man Regelungen schaffen müssen, damit die Beteiligungsrechte der britischen Arbeitnehmer in den Gremien der SE (Aufsichtsrat bzw. SE-Betriebsrat) bestehen bleiben. Für den Fall, dass keine Regelungen erfolgen, sind die Beteiligungsrechte britischer Arbeitnehmer in solchen Gremien künftig ausgeschlossen.
Das gleiche gilt für die Arbeitnehmerbeteiligung in einem nach der Europäischen Betriebsräte-Richtlinie gebildeten Europäischen Betriebsrat. Für den Fall, dass die EU mit dem UK keine neue rechtliche Grundlage vereinbaren wird, könnten britische Arbeitnehmer künftig nicht mehr im Europäischen Betriebsrat mitarbeiten. Die Zusammensetzung des Gremiums würde sich verändern. Die übrigen Mitglieder des Europäischen Betriebsrates hätten keinen Anspruch auf Informationen und Konsultationen zu Maßnahmen, die die Konzernleitung im UK plant. Für Unternehmen, die von der Möglichkeit der freiwilligen Bildung von Europäischen Betriebsratsgremien vor Inkrafttreten der Europäischen Betriebsräte-Richtlinie und ihrer nationalen Umsetzungsgesetze Gebrauch gemacht haben, gilt das Vorstehende nicht. Dort bleibt es bei den vereinbarten Regelungen zum Europäischen Betriebsrat unter Einschluss des UK.
Nach umstrittener Meinung mancher deutscher Zivilgerichte zählen im EU-Ausland beschäftigte Arbeitnehmer deutscher Kapitalgesellschaften bei den Schwellenwerten für die Bildung mitbestimmter Aufsichtsräte mit und dürfen ggf.- mitwählen. Nach dem Vollzug des Brexit können in dem UK beschäftigte Arbeitnehmer nicht berücksichtigt werden.
Betriebsübergänge
Das UK hat die Betriebsübergangsrichtlinie durch die „Transfer of Undertakings Protection of Employment Regulations“ (TUPE) in nationales Recht umgesetzt. Es steht dem UK frei, nach Vollzug des Brexit von diesen Regelungen abzuweichen, weil keine Bindung mehr an die EU-Richtlinie besteht. Nach dem Austritt von dem UK aus der EU könnte es daher zu einer Aufhebung oder – inhaltlich unvorhersehbaren – Neuregelung der britischen Vorschriften zum Betriebsübergang kommen. Unternehmen, die einen Asset Deal in dem UK planen, müssen diese Ungewissheit berücksichtigen.
Arbeitnehmerdaten
Der reibungslose Transfer von Arbeitnehmerdaten von und in das UK wird auch in Zukunft unumgänglich sein.
Die derzeit noch geltende Datenschutzrichtlinie, die einen Transfer von Arbeitnehmerdaten innerhalb der EU-Mitgliedstaaten ermöglicht, wäre im Fall des Brexit auf das UK nicht mehr anwendbar.
Nach dem Brexit wird das UK zunächst datenschutzrechtlich als „unsicherer Drittstaat“ klassifiziert. In diesem Fall müsste das UK ein angemessenes Datenschutzniveau nachweisen. Wie hoch die Hürden für den Transport und die Speicherung von personenbezogenen Daten in einem solchen Fall sind, zeigt sich aktuell bei der Diskussion um das sog. „EU-US-Privacy Shield“ Abkommen mit den USA. Es ist zwar in Kraft getreten, aber es ist alles andere als sicher, dass das Abkommen auch Bestand hat und nicht wie sein Vorgänger Safe Harbor vom Europäischen Gerichtshof für nichtig erklärt wird. Denn es gibt nur wenige Länder, denen die EU ein Datenschutzniveau bescheinigt, das mit ihrem eigenen vergleichbar ist. Ein Beispiel ist Kanada.
Der Transport und die Speicherung personenbezogener Daten könnte also dazu führen, dass Unternehmen ihr Europa-Geschäft aus Datenschutzgründen aus dem UK in die EU verlagern. Vodafone, Barclays und Visa haben bereits dahingehende Überlegungen geäußert.