Update Arbeitsrecht April 2019
Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei Kündigung
(BAG, Urt. Vom 13.12.2018, 2 AZR 378/18)
In einer für die Praxis sehr hilfreichen Entscheidung hat sich das BAG zu dem Verfahren der Anhörung der Schwerbehindertenvertretung vor Kündigungen geäußert. Hört der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung vor Ausspruch der Kündigung entsprechend den für die Beteiligung des Betriebsrats gem. § 102 BetrVG geltenden Grundsätze an, ist das ausreichend. Insbesondere muss die Schwerbehindertenvertretung nicht zeitlich vor der Anhörung des Betriebsrates oder vor der Antragstellung an das Integrationsamt beteiligt werden.
Die einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Arbeitnehmerin wehrte sich mit ihrer Kündigungsschutzklage gegen die ordentliche Kündigung ihres Arbeitsvertrages und wandte u.a. ein, dass die Schwerbehindertenvertretung zu spät beteiligt worden sei. Die Arbeitgeberin hatte zunächst die Zustimmung des Integrationsamtes zur beabsichtigten Kündigung beantragt. (Erst) nachdem die behördliche Zustimmung vorlag, hörte die Arbeitgeberin den Betriebsrat und zuletzt die Schwerbehindertenvertretung zu ihrer Beendigungsabsicht an und sprach anschließend die Kündigung aus. Die Vorinstanzen haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben, weil die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung so kurz vor Ausspruch der Kündigung nicht mehr „unverzüglich“ sei mit der Folge der Unwirksamkeit der Kündigung. Auf die soziale Rechtfertigung der Kündigung kam es nicht mehr an. Auf die Revision der Arbeitgeberin hin wurde das Urteil durch das BAG aufgehoben und an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
Die Entscheidung betrifft das Verständnis des zum 1. Juli 2016 neu in das Gesetz aufgenommenen § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX (bis zum 31. Dezember 2017: § 95 Abs. 2 Satz 3 SGB IX). Danach ist die Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne die ordnungsgemäße Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, unheilbar nichtig. Allerdings hat der Gesetzgeber das Verfahren der Beteiligung nur rudimentär geregelt. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung bei allen Angelegenheiten, die einen schwerbehinderten Menschen berühren, (i) unverzüglich und umfassend zu unterrichten, (ii) anzuhören und (iii) ihr die getroffene Entscheidung unverzügliche mitzuteilen. Völlig offen ist, zu welchem Zeitpunkt die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung zu erfolgen hat, welche inhaltlichen Anforderungen an die Anhörung zu stellen sind und wann das Anhörungsverfahren beendet ist.
Das BAG hat den vorliegenden Fall für einige wichtige Feststellungen genutzt:
- Die Schwerbehindertenvertretung ist vor jeder Beendigungs- oder Änderungskündigung eines schwerbehinderten oder eines mit einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellten Menschen zu beteiligen. Das gilt auch für Kündigungen in der sechsmonatigen Wartezeit es § 1 KSchG. Es ist nicht erforderlich, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung steht.
- Die Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung muss nicht zeitlich vor der Anhörung des Betriebsrates und auch nicht vor dem Antrag an das zuständige Integrationsamt erfolgen. Eine irgendwie geartete Abfolge der Beteiligung von Schwerbehindertenvertretung, Betriebsrat und Integrationsamt verlangt das BAG nicht. Entscheidend ist, dass die Schwerbehindertenvertretung vor dem Vollzug der betreffenden Entscheidung ordnungsgemäß angehört worden ist. Die Kündigungsentscheidung wird erst durch den Kündigungsausspruch vollzogen, nicht schon durch die Anhörung des Betriebsrates oder den Antrag an das Integrationsamt (das sind bloße Vorbereitungsmaßnahmen).
- Der ausreichende, aber auch notwendige Inhalt der Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung richtet sich nach den gleichen Grundsätzen wie die Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 BetrVG. Der Unterrichtungsinhalt beschränkt sich insbesondere nicht auf schwerbehindertenspezifische Kündigungsbezüge. Vielmehr sind neben dem Kündigungssachverhalt der Grad der Behinderung des Arbeitnehmers und ggf. die Gleichstellung sowie grds. die weiteren Sozialdaten (Beschäftigungsdauer, Lebensalter, Unterhaltspflichten) mitzuteilen.
- Die Schwerbehindertenvertretung hat die gleichen Stellungnahmefristen wie der Betriebsrat zu beachten (§ 102 Abs. 2 BetrVG analog). Das gilt bei privaten und öffentlichen Arbeitgebern gleichermaßen. D.h. etwaige Bedenken gegen eine beabsichtigte ordentliche Kündigung sind spätestens innerhalb einer Woche und solche gegen eine außerordentliche Kündigung unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen dem Arbeitgeber mitzuteilen. Einer ausdrücklichen Fristsetzung durch den Arbeitgeber bedarf es nicht. Das Anhörungsverfahren ist beendet, wenn die Frist zur Stellungnahme durch die Schwerbehindertenvertretung abgelaufen ist oder eine das Verfahren abschließende Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung vorliegt.
- Nach der Anhörung hat der Arbeitgeber der Schwerbehindertenvertretung die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen (§ 178 Abs. 2 Satz 1, 2. HS SGB IX). Verletzt der Arbeitgeber diese Mitteilungspflicht, führt das nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Ein Verstoß gegen die Mitteilungspflicht ist nicht einmal bußgeldbewehrt.
- Ist eine Kündigung wegen der nicht ordnungsgemäßen Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam, kann der Arbeitgeber keinen Auflösungsantrag nach § 9 KSchG stellen. Denn die Vorschrift rechnet zu den sonstigen, zumindest auch den Arbeitnehmer schützenden Unwirksamkeitsgründen, die einen arbeitgeberseitigen Auflösungsantrag „sperren.
Praxistipp
Die Beteiligungsverfahren der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrates stehen gleichrangig nebeneinander und folgen inhaltlich und zeitlich den gleichen Regeln. Die Anhörungen können gleichzeitig eingeleitet werden, vor oder nach dem Antrag an das Integrationsamtes, zwingend aber vor Ausspruch der Kündigung, andernfalls ist die Kündigung unheilbar nichtig.