29.08.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht August 2024

Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 1 BetrVG bei verhaltensbedingter Kündigung

LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 07.03.2024 – 5 Sa 173/23

Arbeitgeber müssen – sofern ein Betriebsrat besteht – diesen gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG vor Ausspruch einer Kündigung anhören. Dabei hat der Arbeitgeber die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. In der betrieblichen Praxis stellt sich häufig die Frage, wie detailliert der Betriebsrat anzuhören ist. Das LAG Rheinland-Pfalz hatte sich zuletzt mit dieser Frage auseinanderzusetzen.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen. Der Kläger ist seit 1995 bei der Beklagten als Maschinenführer tätig. In dem von der Beklagten betriebenen Werk besteht ein Betriebsrat. Die Beklagte erteilte dem Kläger in den Jahren 2021 bis 2022 insgesamt sechs Abmahnungen. Die Abmahnungen wurden unter anderem wegen der Missachtung von Sicherheitsvorschriften, der Nichteinhaltung des Rauchverbots und der fehlerhaften Durchführung von Fertigungsaufträgen ausgesprochen. Die Kündigung stützte die Beklagte auf den Vorwurf, dass der Kläger erneut Sicherheitsvorschriften außer Acht gelassen hatte. Der Kläger hatte eine schwebende Last berührt, obwohl dies nach den bestehenden Sicherheitsvorschriften, die in der Ausbildung zum Kranführer vermittelt worden sind, streng verboten gewesen ist. Hierdurch erlitt der Kläger Quetschungen an der rechten Hand. Aufgrund des Arbeitsunfalls fand eine Unfallbegehung statt, an der neben dem Kläger und seinem Vorgesetzten auch ein Mitglied des Betriebsrats teilnahm. Die Unfallanzeige an die zuständige Berufsgenossenschaft wurde vom Betriebsratsvorsitzenden mitunterzeichnet.

Die Beklagte hörte den Betriebsrat an. Sie fügte dem Anhörungsbogen die sechs Abmahnungen bei. In dem Anhörungsbogen heißt es unter anderem:

                        „Darlegung der Kündigungsgründe:

Herr A. missachtete am 30.11.2022 das Tragen eines Schutzhelms an der SGSA 26. Des Weiteren ereignete sich am 04.12.2022 ein selbst verschuldeter Arbeitsunfall an der Rohrschweißanlage O. M. 1, bei dem Herr A. die pendelnde Last mit der Hand berührte und sich eine Quetschung des Fingers zugezogen hat. Dabei ist Herr A. in der Ausbildung zum Kranführer geschult worden.

Herr A. hat in 2021 und 2022 in Summe bereits sechs Abmahnungen erhalten (siehe anbei).“

Der Betriebsrat gab keine Stellungnahme ab. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis. Die vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage hatte in der ersten Instanz Erfolg. Das Arbeitsgericht war der Auffassung, dass die Kündigung nach § 102 Abs. 1 BetrVG nichtig sei, weil die Beklagte den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört habe. Der Betriebsrat habe sich aus der Schilderung in dem Anhörungsbogen kein Bild vom maßgebenden Kündigungssachverhalt machen können. Aus dem Schreiben sei nicht hervorgegangen, wie sich der selbst verschuldete Arbeitsunfall ereignet haben soll.

Entscheidung

Die Berufung vor dem LAG Rheinland-Pfalz hatte in der Sache Erfolg. Das LAG Rheinland-Pfalz hat festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 15.12.2022 mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist aufgelöst worden sei. Das erstinstanzliche Urteil war deshalb abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die ordentliche Kündigung der Beklagten sei entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts nicht wegen unzureichender Anhörung des Betriebsrats unwirksam. Nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers im Rahmen von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG reiche allerdings nicht so weit wie die Darlegungslast im Prozess. Der notwendige Inhalt der Unterrichtung gemäß § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG richte sich vielmehr nach Sinn und Zweck des Beteiligungsrechts. Dieser bestehe darin, dem Betriebsrat durch die Unterrichtung in die Lage zu versetzen, sachgerecht, d.h. gegebenenfalls zu Gunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Der Betriebsrat solle die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe beurteilen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können. Die Beklagte habe den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört, denn er konnte sich ohne zusätzliche eigene Nachforschungen selbst ein Bild machen und die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe mühelos überprüfen. Hierbei war insbesondere zu berücksichtigen, dass der Betriebsrat den Unfallhergang auch aus der Unfallanzeige kannte. Ferner habe die Beklagte den Kündigungsvorwurf hinreichend deutlich geschildert. Die Kündigung sei auch gerechtfertigt gewesen, weil der Kläger trotz einschlägiger Abmahnung erneut gegen Sicherheitsvorschriften verstoßen hat.

Praxistipp

Das Urteil des LAG Rheinland-Pfalz verdeutlicht, dass Kündigungen stets sorgfältig vorzubereiten sind. Dies gilt insbesondere auch für die Anhörung des Betriebsrats. Sollte dieser nicht ordnungsgemäß angehört werden, kann die Kündigung allein aus formellen Gründen unwirksam sein. Deshalb sind Arbeitgeber gehalten, die Betriebsratsanhörung sorgfältig vorzubereiten, damit sich der Betriebsrat ein Bild über den Kündigungssachverhalt machen kann. Dabei ist jedoch zu Gunsten von Arbeitgebern zu berücksichtigen, dass die Mitteilungspflicht gerade nicht so weit reicht, wie die Darlegungslast in einem Kündigungsrechtsstreit.

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