30.05.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Mai 2023

Betriebsratswahl bei einer ausländischen Fluggesellschaft

Beschluss des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg (LAG) vom 22.02.2023, Az. 4 TaBVGa 1301/22

Das LAG stellt klar, dass die Anforderungen an die einstweilige Untersagung von vorbereitenden Maßnahmen einer Betriebsratswahl sehr hoch sind: Die beabsichtigte Betriebsratswahl müsse erkennbar nichtig sein. Dafür müsse ein offensichtlicher und eklatanter Verstoß gegen die Grundsätze einer ordnungsgemäßen Wahl vorliegen. Die Rechtsfrage, ob ein in Deutschland gelegener Betriebsteil überhaupt betriebsratsfähig sein kann, wenn der Hauptbetrieb im Ausland ist, sei zwar klärungsbedürftig, jedoch nicht im einstweiligen Verfügungsverfahren. Insoweit bliebe eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) abzuwarten.

Sachverhalt

Die Arbeitgeberin – eine ausländische Fluggesellschaft – wendet sich gegen eine geplante Betriebsratswahl am Berliner Flughafen BER. Sie ist der Ansicht, dass sie am Berliner Flughafen keine betriebsratsfähige Organisation unterhält. Bis zur Klärung dieser Frage begehrt sie im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Untersagung von wahlvorbereitenden Maßnahmen.
Die Arbeitgeberin führt unter anderem Flüge von und zum Flughafen BER durch. Am BER hat sie sog. „Base Captains“ stationiert, die vor Ort an der Organisation des Flugbetriebes – die Intensität dieser Organisation ist zwischen den Parteien streitig – teilnehmen. Die Gewerkschaft ver.di hatte das stationierte Flugpersonal zur Wahl eines Betriebsrats aufgerufen.

Inhalt der Entscheidung

Das Arbeitsgericht Cottbus wies den Antrag der Arbeitgeberin ab. Das LAG bestätigte diese Entscheidung und wies die Beschwerde der Arbeitgeberin zurück.
Das LAG stellte fest, dass kein Verfügungsanspruch der Arbeitgeberin auf Unterlassung der Wahl eines Wahlvorstandes besteht. Ein solcher käme u.a. nur dann in Betracht, wenn die wahlvorbereitenden Maßnahmen offensichtlich nichtig seien. Die bloße Anfechtbarkeit genüge hingegen auch dann nicht, wenn ein Betriebsrat erstmals gewählt werden soll. Unter Verweis auf die Rechtsprechung des BAG (Beschl. v. 27.07. 2011, 7 ABR 61/10) führte das LAG aus, dass das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) gerade darauf ausgerichtet sei, Betriebsräte in möglichst jedem Betrieb einzusetzen und betriebsratlose Zeiten weitestgehend vermieden werden sollen. Dieser Maßstab müsse auch in dem zu entscheidenden Fall zugrunde gelegt werden, so das LAG.
Anderenfalls würde ein Arbeitgeber mit einem solchen Unterlassungsantrag mehr erreichen, als mit einer Wahlanfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG, die nur in die Zukunft wirke. Denn auch ein nicht ordnungsgemäß gewählter Betriebsrat bliebe solange im Amt, bis das Wahlanfechtungsverfahren abgeschlossen sei. Die Untersagung einer nur anfechtbaren Wahl würde die Anfechtung quasi vorwegnehmen.
Nach Auffassung des LAG ist eine Betriebsratswahl erst dann nichtig, wenn ein offensichtlicher und besonders krasser Verstoß gegen die Vorschriften für die Wahldurchführung vorliegt. Ein solcher auf den ersten Blick erkennbarer Verstoß liege allerdings nicht in dem Vorbringen der Arbeitgeberin, es liege kein qualifizierter Betriebsteil nach § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BetrVG vor. Denn am Flugbetrieb der Arbeitgeberin am BER bestehe durch die Base Captains ein Mindestmaß an organisatorischer Selbständigkeit.
Ob dieser qualifizierte Betriebsteil allerdings auch dann betriebsratsfähig sein könne, wenn der Hauptbetrieb außerhalb Deutschlands und damit außerhalb des Geltungsbereichs des BetrVG liege, sei höchstrichterlich noch nicht geklärt. Nach Ansicht des LAG ist nicht klar, ob die Rechtsprechung des BAG zu der fehlenden Möglichkeit der Errichtung eines Konzernbetriebsrats (BAG, Beschl. v. 23.05.2018, 7 ABR 60/16) – wenn das herrschende Unternehmen seinen Sitz nicht im Inland hat – hier zu übertragen ist. Die Klärung dieser Rechtsfrage könne jedoch auch nicht zugunsten der Arbeitgeberin im Wege eines einstweiligen Verfügungsverfahrens geklärt werden, so das LAG. Es liege also an der Arbeitgeberin, das Hauptsacheverfahren nun über drei Instanzen zu betreiben. Eine Verzögerung der Betriebsratswahl für diesen langen Zeitraum sei den Beschäftigten jedenfalls nicht zumutbar.

Praxishinweis

Mit den Anforderungen, die an eine Untersagung einer Betriebsratswahl im Eilverfahren zu stellen sind, reiht sich das LAG in die ständige Rechtsprechung des BAG ein. Nur wenn die Betriebsratswahl „den Stempel der Nichtigkeit auf der Stirn trägt“, kommt eine Untersagung in Betracht (vgl. BAG, Beschl. v. 30.06.2021, Az. 7 ABR 24/20).

Die weitere, folgenreiche Frage dieses Falls beantwortete das LAG allerdings nicht. Damit bleibt offen, ob ein in Deutschland gelegener Betriebsteil nur dann betriebsratsfähig ist, wenn der Hauptbetrieb als Bezugspunkt im Inland gelegen ist.

Die Literatur bejaht dieses Erfordernis teilweise und begründet dies mit dem Territorialprinzip (vgl. Schaub/Koch, Arbeitsrechts-Handbuch, 19. Aufl. 2021, § 213 Rn. 2). Andere Stimmen ziehen eine entsprechende Anwendung von § 4 Abs. 1 BetrVG in Betracht. Anderenfalls könne sich ein Unternehmen durch die Verwendung von Matrixstrukturen dem Anwendungsbereich des BetrVG entziehen (vgl. Fitting/Schmidt/Trebinger/Linsenmaier/Schelz, 31. Aufl. 2022, BetrVG § 1 Rn. 13).

Die in diesem Fall wohl noch zu erwartende Entscheidung des BAG lässt hoffen, dass der Anwendungsbereich des BetrVG weiterhin klar abgrenzbar unter der Prämisse des Territorialprinzips erfolgt.

 

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