Update Compliance Nr. 5
BGH: Besonders schwere Steuerhinterziehung schon bei EUR 50.000
Bislang lag die Grenze zur Steuerhinterziehung im großen Ausmaß und damit zum besonders schweren Fall in bestimmten Konstellationen bei EUR 100.000. Der BGH hat diese Rechtsprechung aufgegeben und eine einheitliche Grenze von EUR 50.000 festgelegt. Für praxisrelevante Formen der Steuerhinterziehung hat sich damit die Straferwartung erhöht.
Bislang galt nach einer Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahre 2008, dass es keine einheitliche Grenze für die Steuerhinterziehung im großen Ausmaß gibt (BGH, Urt. v. 2.12.2008 - 1 StR 416/08; siehe dazu auch Update Compliance Nr. 1/2009). Vielmehr war zu differenzieren: Hatte der Täter ungerechtfertigte Zahlungen vom Finanzamt erlangt, so lag die Grenze zum besonders schweren Fall bei EUR 50.000. Hatte der Täter hingegen nur falsche Angaben gemacht und dadurch eine zu niedrige Steuerfestsetzung erwirkt, so war erst ab EUR 100.000 von einem besonders schweren Fall auszugehen.
Daran hält der BGH nicht mehr fest: Im zugrunde liegenden Fall hatte der Angeklagte, ein Gastronom, Teile der Umsätze in den Registrierkassen vor Ausdruck des Bons gelöscht. Zudem bezahlte er Lieferanten auch in bar; Rechnungen wurden nur teilweise ausgestellt. Der Angeklagte erwirkte u.a. eine Steuerfestsetzung, die um EUR 80.610 zu niedrig ausfiel – und damit unter der bislang geltenden Grenze von EUR 100.000 lag. Der BGH bestätigte die Verurteilung des Landgerichts wegen Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall (BGH, Urt. v. 27.10.2015 - 1 StR 373/15). Die alte Rechtsprechung gab der BGH auf, denn sie basierte auf der Unterscheidung zwischen einem tatsächlich eingetreten Schaden des Fiskus (Grenze EUR 50.000) und einer bloßen Gefährdung des Steueranspruchs durch unvollständige oder falsche Angaben (Grenze EUR 100.000). Diese Unterscheidung erachtet der BGH nicht mehr als sachgerecht, weil § 370 Abs. 4 AO nicht zwischen einer Vermögensgefährdung und einem tatsächlichen Vermögensschaden differenziere, sondern beides qualitativ gleich behandle.
Praxishinweis: Steuerhinterziehungen durch falsche oder unvollständige Angaben sind häufig. Für viele dieser Fälle ist nunmehr mit erhöhten Strafen zu rechnen, wenn die festgesetzte Steuer um mehr als EUR 50.000 abweicht. Auch wenn der BGH betont, dass bei der Frage, ob ein besonders schwerer Fall vorliegt, nicht nur auf den Hinterziehungsbetrag, sondern auch auf alle anderen Umstände des Einzelfalls abzustellen ist, so ist doch zu befürchten, dass viele Gerichte diese Grenze schematisch anwenden. Zudem gilt nach der insoweit immer noch aktuellen Rechtsprechung des BGH aus dem Jahr 2008, dass bei einem Hinterziehungsbetrag zwischen EUR 50.000 und EUR 100.000 sowohl eine Freiheitsstrafe wie auch eine Geldstrafe je nach den Umständen des Einzelfalls in Betracht kommen. Da die „neuen“ besonders schweren Fälle der Steuerhinterziehung in diesem Bereich liegen, ist mit einer vermehrten Verhängung von Freiheitsstrafen zu rechnen.
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