27.04.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2023

Der Ausspruch einer fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber begründet die Vermutung, dass keine Weiterbeschäftigung erfolgen soll, sodass Annahmeverzug weiterhin geschuldet wird

BAG, Urteil vom 29. März 2023, 5 AZR 255/22

Kündigt ein Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos und bietet dem Arbeitnehmer während des Kündigungsschutzprozesses die Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen „zur Vermeidung von Annahmeverzug“ an, so verhält er sich widersprüchlich. Der Ausspruch einer fristlosen Kündigung begründet in diesem Fall die Vermutung, dass das Beschäftigungsangebot nicht ernst gemeint war und führt dazu, dass der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Zahlung seines Annahmeverzugslohns behält. Diese Vermutung kann der Arbeitgeber allerdings durch entsprechende Begründung bzw. Darlegung entkräften.

SACHVERHALT

Die Parteien streiten über das Entstehen von Annahmeverzug nach Ausspruch einer fristlosen Kündigung durch den Arbeitgeber.

Der seit Mitte August 2018 bei der Arbeitgeberin als technischer Leiter beschäftigter Kläger erhielt im Dezember 2019 eine von der Arbeitgeberin ausgesprochene fristlose Änderungskündigung, welche das Angebot auf Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages als Softwareentwickler gegen ein geringeres Entgelt (EUR 1.500 brutto pro Monat weniger als zuvor) enthielt.

Im Rahmen der Änderungskündigung hatte die Arbeitgeberin auf folgendes hingewiesen:

Im Falle der Ablehnung der außerordentlichen Kündigung durch Sie (also im Falle, dass Sie von einem unaufgelösten Arbeitsverhältnis ausgehen) oder im Falle der Annahme des folgenden Angebots erwarten wir Sie am 05. Dezember 2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Dienstantritt

Der Kläger lehnte das Änderungsangebot ab und erschien auch nicht zur Arbeit. Daraufhin kündigte die Arbeitgeberin mit Schreiben vom 14. Dezember 2019 das Arbeitsverhältnis erneut außerordentlich und fristlos zum 17. Dezember 2019 um 12:00 Uhr MEZ. Die Arbeitgeberin hatte im Rahmen dieser Kündigung den Kläger darauf hingewiesen, dass sie ihn

„im Falle der Ablehnung dieser außerordentlichen Kündigung am 17. Dezember 2019 spätestens um 12:00 Uhr MEZ zum Dienstantritt erwarte.“

Der Kläger erschien erneut nicht. Im Kündigungsschutzprozess wurde sodann rechtskräftig festgestellt, dass beide Kündigungen unwirksam waren.

Für Dezember 2019 zahlte die Arbeitgeberin nur noch eine anteilige Vergütung. Der Kläger fand erst am 1. April 2020 ein neues Arbeitsverhältnis und erhob daher Klage auf Vergütung wegen Annahmeverzugs.

Er war der Ansicht, dass ihm eine Weiterbeschäftigung bei der Arbeitgeberin zu geänderten oder auch den ursprünglichen Arbeitsbedingungen, sofern die Arbeitgeberin dies überhaupt ernsthaft angeboten habe, nicht zuzumuten gewesen sei. Die Arbeitgeberin habe ihm zur Begründung ihrer fristlosen Kündigungen in umfangreichen Ausführungen zu Unrecht mannigfaches Fehlverhalten vorgeworfen und seine Person herabgewürdigt. Sie habe ihrerseits geltend gemacht, eine Weiterbeschäftigung des Klägers sei ihr unzumutbar.

Die Arbeitgeberin war dagegen der Auffassung, sie habe sich nicht im Annahmeverzug befunden, weil der Kläger während des Kündigungsschutzprozesses nicht bei ihr weitergearbeitet habe. Der Kläger sei selbst von der Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung ausgegangen, weil er im Kündigungsschutzprozess einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung gestellt habe.

Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen, da der Kläger das Angebot der Arbeitgeberin während des Kündigungsschutzprozesses bei ihr weiterzuarbeiten, nicht angenommen habe und daher nicht leistungswillig im Sinne des § 297 BGB gewesen sei.

ENTSCHEIDUNG

Das BAG schloss sich den vorinstanzlichen Entscheidungen nicht an und verurteilte die Arbeitgeberin zur Zahlung des geltend gemachten Verzugslohns.

Nach Auffassung des BAG befand sich die Arbeitgeberin aufgrund ihrer unwirksamen fristlosen Kündigungen im Annahmeverzug, ohne dass es eines Arbeitsangebots des Klägers bedurft hätte. Die Arbeitgeberin sei aufgrund des Ausspruchs der fristlosen Kündigung offenbar selbst davon ausgegangen, dass ihr eine Weiterbeschäftigung des Klägers nicht zuzumuten sei. Das Angebot einer Prozessbeschäftigung während eines laufenden Kündigungsschutzprozesses stelle daher ein widersprüchliches Verhalten der Arbeitgeberin dar und begründe insofern die Vermutung, dass es sich nicht um ein ernst gemeintes Angebot der Arbeitgeberin handle.

Die abweichende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts beruhe auf einer nur selektiven Berücksichtigung des Parteivortrags und sei deshalb nicht vertretbar. Darüber hinaus lasse die Ablehnung eines solchen „Angebots“ nicht auf einen fehlenden Leistungswillen des Klägers im Sinne des § 297 BGB schließen.

Es kam aber in Betracht, dass der Kläger sich nach § 11 Nr. 2 KSchG böswillig unterlassenen Verdienst anrechnen hätte lassen müssen.

Das schied im Streitfall jedoch aus Sicht des BAG aus, da dem Kläger aufgrund der gegen ihn im Rahmen der Kündigung erhobenen Vorwürfe und Herabwürdigungen seiner Person eine Prozessbeschäftigung bei der Arbeitgeberin nicht zuzumuten war.

Dem stehe auch nicht entgegen, dass der Kläger im Kündigungsschutzprozess vorläufige Weiterbeschäftigung beantragt habe. Dieser Antrag sei auf die Prozessbeschäftigung nach festgestellter Unwirksamkeit der Kündigungen gerichtet gewesen. Nur wenn der Kläger in einem solchen Fall die Weiterbeschäftigung abgelehnt hätte, hätte er sich seinerseits widersprüchlich verhalten.

Im vorliegenden Fall sei es um die Weiterbeschäftigung in der Zeit bis zur erstinstanzlichen Entscheidung gegangen. Es mache einen Unterschied, ob der Arbeitnehmer trotz der gegen ihn im Rahmen einer verhaltensbedingten Kündigung erhobenen (gravierenden) Vorwürfe weiterarbeiten soll oder er nach erstinstanzlichem Obsiegen spätestens gleichsam „rehabilitiert“ in dem Betrieb zurückkehren könne.

Bislang hat das BAG lediglich die diesbezügliche Pressemitteilung veröffentlicht. Die ausführliche Begründung des Urteils steht damit noch aus.

PRAXISTIPP

Um dem Anspruch des Arbeitnehmers auf Anspruch eines Annahmeverzugslohns wirksam entgegentreten zu können, stehen dem Arbeitgeber unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung.

Zum einen steht es ihm frei, dem Arbeitnehmer eine Prozessbeschäftigung anzubieten. Das macht allerdings nur Sinn, soweit es sich nicht um eine verhaltens- oder personenbedingte Kündigung gehandelt hat. Ansonsten verhält sich der Arbeitgeber (entsprechend dieser BAG-Entscheidung) widersprüchlich.

Zum anderen hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, einen Auskunftsanspruch nach § 11 Nr. 2 KSchG beim Arbeitnehmer geltend zu machen und diesem zeitgleich bestenfalls Stellenangebote (anderer Unternehmen) zuzusenden. Der Auskunftsanspruch zielt darauf ab, die Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers nach Erhalt der Kündigung überprüfen zu können (BAG, Urteil vom 27. Mai 2020, 5 AZR 387/19). Soweit sich der Arbeitnehmer nicht ausreichend um eine neue Anstellung bemüht hat, kann dies ggf. ein böswilliges Unterlassen des Arbeitnehmers im Sine des § 11 Nr. 2 KSchG begründen und im Ergebnis zu einem Verlust des Anspruchs auf Zahlung eines Annahmeverzugslohns führen.

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