29.04.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2024

Diskriminierung eines Schwerbehinderten bei Nichteinstellung aus gesundheitlichen Gründen?

Urteil des Arbeitsgerichts Siegburg vom 20.03.2024 – 3 Ca 1654/23

Das Arbeitsgericht Siegburg (ArbG) stellt klar, dass keine Diskriminierung aufgrund einer Schwerbehinderung vorliegt, wenn ein öffentlicher Arbeitgeber eine Einstellungszusage zurücknimmt, weil ein Arzt die fehlende Geeignetheit des Bewerbers für eine Stellenbesetzung festgestellt hat.

Sachverhalt

Der Kläger, ein an Diabetes erkrankter Mann, bewarb sich unter Hinweis auf seine Schwerbehinderung auf eine Ausbildungsstelle als Straßenwärter bei der beklagten Stadt. Vorbehaltlich einer durchzuführenden ärztlichen Untersuchung erhielt der Kläger eine Einstellungszusage. Die anschließende ärztliche Untersuchung gelangte zu dem Ergebnis, dass der Kläger aufgrund seiner Diabeteserkrankung für die Ausbildungsstelle ungeeignet sei. Daraufhin erhob der Kläger Klage auf Entschädigung aufgrund einer aus seiner Sicht erfolgten Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch.

Inhalt der Entscheidung

Das ArbG wies die Klage ab. Nach Ansicht des ArbG stelle die Rücknahme der Einstellungszusage weder eine diskriminierende Handlung noch einen Verstoß gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dar. Das ArbG stellt klar, dass die Schwerbehinderung des Klägers für die Einstellungsentscheidung der Beklagten ohne Relevanz gewesen sei. Vielmehr hätte die Beklagte den Kläger ungeachtet seiner Schwerbehinderung eingestellt, soweit er den ärztlichen Eignungstest bestanden hätte. Aus diesem Grund erteilte die Beklagte ihm auch die (bedingte) Einstellungszusage, so das ArbG.

Die Entscheidungsgründe sind noch nicht veröffentlicht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Entscheidung im Kontext

1. Grundsatz

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer-)Behinderung. Derartige Pflichtverletzungen sind grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, dass der Arbeitgeber an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert ist (BAG, Urteil vom 2.6.2022 – 8 AZR 191/21, Rn. 30).

2. Benachteiligung im Rahmen der Einladung zum Vorstellungsgespräch?

Öffentliche Arbeitgeber sind gemäß § 165 S. 3 SGB IX grundsätzlich dazu verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Die Einladung zum Vorstellungsgespräch ist entbehrlich, wenn die fachliche Eignung des Bewerbers offensichtlich fehlt, § 165 S. 4 SGB IX. Der Maßstab für die fachliche Eignung folgt aus den Ausbildungs- und Prüfungsvoraussetzungen für die ausgeschriebene Stelle, die von den in der Stellenausschreibung geforderten Qualifikationsmerkmalen konkretisiert werden. Dabei enthält der Hinweis auf bestimmte berufliche Qualifikationen die Erwartung, dass die in der Stellenausschreibung genannten Aufgabenstellungen auf der Grundlage dieser beruflichen Qualifikationen bewältigt werden können (BAG, Urt. v. 16. 9. 2008 - 9 AZR 791/07, Rn. 49).

Die Einladung zum Vorstellungsgespräch darf dabei nur unterbleiben, wenn der Bewerber diese Voraussetzungen offensichtlich nicht erfüllt (BAG, Urt. v. 11.8.2016 – 8 AZR 375/15, Rn. 36).

Die gesetzliche Pflicht öffentlicher Arbeitgeber, Bewerber mit einer Schwerbehinderung zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, folgt aus ihrer Vorbildfunktion. Eine solche Pflicht besteht für private Arbeitgeber hingegen nicht. Private Arbeitgeber sind allerdings verpflichtet, zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können, § 164 Abs. 1 S. 1 SGB IX.

Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen diese Vorschrift begründet dabei regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung. Eine solche Pflichtverletzung ist grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (BAG, Urt. v. 25.11.2021 – 8 AZR 313/20 Rn. 26; BAG, Urt. vom 2.06.2022 – 8 AZR 191/21, Rn.30).

3. Rechtsfolgen einer Benachteiligung

Die Ablehnung oder Nichteinladung zum Bewerbungsgespräch eines schwerbehinderten Bewerbers darf nicht aufgrund der Schwerbehinderung erfolgen, § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des AGG gem. § 164 Abs. 2 S. 2 SGB IX.

Gemäß § 15 AGG steht dem schwerbehinderten Bewerber in einem solchen Fall ein Schadensersatzanspruch gegen den Arbeitgeber zu. Dieser erfasst nach § 15 Abs. 1 AGG den entstandenen Vermögensschaden, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung kausal zu vertreten hat. Kann der Arbeitgeber also einwenden, dass der Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, kann er dies gegenüber dem Schadensersatzanspruch einwenden. Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er bei benachteiligungsfreier Auswahl den Arbeitsplatz erhalten hätte, trifft hierbei den abgelehnten Bewerber (BAG, Urt. v. 19.8.2010 - 8 AZR 530/09). Gelingt ihm diese Darlegung nicht, so kann er dennoch einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG geltend machen.

Gem. § 15 Abs. 2 AGG kann der abgelehnte Bewerber eine angemessene Entschädigung in Geld für einen immateriellen Schaden verlangen. Die Entschädigung, die in gewisser Weise die Zahlung eines Schmerzensgeldes darstellt, muss zum einen die Schwere des Verstoßes berücksichtigen und zugleich den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Im Falle einer Nichteinstellung ist für die Entschädigungshöhe an das Bruttogehalt anzuknüpfen, wobei gem. § 15 Abs. 2 S. 2 AGG für diejenigen, die auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wären, eine Kappungsgrenze von drei Monatsgehältern besteht. Die Darlegungs- und Beweislast trifft insoweit den Arbeitgeber (BAG, Urt. v. 17.8.2010, 9 ABR 83/09). Ein unbegrenzter Anspruch kommt nur dann in Betracht, wenn der Bewerber zumindest geltend macht, dass er bei diskriminierungsfreier Auswahl die Stelle in jedem Fall erhalten hätte. Das BAG hält je nach Einzelfall einen Betrag in Höhe von 1,5 des erzielbaren Bruttogehalts für angemessen (BAG, Urteil v. 28.5.2020 – 8 AZR 170/19, Rn. 39 f.). Die Zahlungsansprüche nach §§ 15 Abs.1, 2 AGG müssen gem. § 15 Abs. 4 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Ablehnung bzw. Nichteinladung geltend gemacht werden.

Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen das Benachteiligungsverbot begründet jedoch in keinem Fall einen Anspruch auf Begründung eines Arbeitsverhältnisses, § 15 Abs. 6 AGG.

Praxishinweis

Arbeitgeber müssen während des gesamten Bewerbungsprozesses besondere Vorschriften beachten, wenn sich Menschen mit einer Behinderung bei ihnen bewerben. Schadensersatz- sowie Entschädigungsansprüche drohen bei vermeintlichen Diskriminierungen im Falle einer Nichteinladung zum Bewerbungsgespräch sowie bei einer Absage. Im Hinblick auf solche Klagen sollten Arbeitgeber die Bewerbungsunterlagen unter strenger Beachtung datenschutzrechtlicher Vorgaben für die Abwehr von Ansprüchen für einen Zeitraum von ca. zwei Monaten (vgl. § 15 Abs. 4 AGG) aufbewahren.

 

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