Update Arbeitsrecht Oktober 2020
EuGH-Vorlage zur Verjährung von Urlaubsansprüchen
BAG Beschluss vom 29. September 2020 – 9 AZR 266/20
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wird darüber zu entscheiden haben, ob Urlaubsansprüche von Arbeitnehmern der Verjährung unterliegen. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mit Beschluss vom 29. September 2020 das unter dem Aktenzeichen 9 AZR 266/20 anhängige Revisionsverfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob Art. 7 RL 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Anwendung einer nationalen Regelung wie § 194 Abs. 1 iVm. § 195 BGB entgegenstehen, nach der der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub einer regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren unterliegt (Pressemitteilung Nr. 34/20).
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Verjährung nicht erfüllter Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2014 und den Vorjahren bei Klageerhebung im Jahr 2018.
Die Klägerin war vom 1. November 1996 bis zum 31. Juli 2017 bei dem Beklagten als Steuerfachangestellte und Bilanzbuchhalterin beschäftigt. Ihr Anspruch auf Erholungsurlaub betrug jährlich 24 Arbeitstage. Mit Schreiben vom 1. März 2012 bescheinigte der Beklagte der Klägerin, dass der „Resturlaubsanspruch von 76 Tagen aus dem Kalenderjahr 2011 sowie den Vorjahren“ am 31. März 2012 nicht verfalle, weil sie ihren Urlaub wegen des hohen Arbeitsaufwandes in seiner Kanzlei nicht habe antreten können. In den Jahren 2012 bis 2017 gewährte der Beklagte der Klägerin an insgesamt 95 Arbeitstagen Urlaub. Mit der am 6. Februar 2018 erhobenen Klage hat die Klägerin die Abgeltung von 101 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 und den Vorjahren verlangt. Im Verlauf des Prozesses hat der Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben und geltend gemacht, für die Urlaubsansprüche, deren Abgeltung die Klägerin verlange, sei die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses abgelaufen.
Vorinstanz verneint Verjährung mit Hinweis auf Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG
Das Landesarbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und den Beklagten zur Abgeltung von 76 Urlaubstagen aus den Jahren 2013 bis 2016 verurteilt (LAG Düsseldorf, 21. Februar 2020 - 10 Sa 180/19). Eine Verjährung der Urlaubstage aus den Jahren 2014 und den Vorjahren komme, so das LAG, entgegen der Auffassung des Beklagten nicht in Betracht. Der Beklagte habe seinen Mitwirkungspflichten nicht genügt, so dass diese nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen seien. Es würde gegen Art. 7 Abs. 1 RL 2003/88/EG verstoßen, wenn der Arbeitnehmer seinen nicht verfallenen Urlaubsanspruch nach dem dritten auf das Urlaubsjahr folgende Jahr allein deshalb nicht mehr geltend machen könne, weil der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit bezüglich des Urlaubsanspruchs nicht nur einmalig, sondern fortwährend nicht nachgekommen sei.
BAG bejaht Entscheidungserheblichkeit
Das BAG verweist, wie schon die Vorinstanz, darauf, dass bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann am Ende des Kalenderjahres oder eines zulässigen Übertragungszeitraums erlischt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann (vgl. dazu Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 9 vom 19. Februar 2019). Diese Obliegenheiten hatte der Beklagte nicht erfüllt, weswegen die Urlaubsansprüche der Klägerin nicht gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG verfallen konnten.
Mithin, so der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts, sei es entscheidungserheblich, ob die nicht erfüllten Urlaubsansprüche der Klägerin aus dem Jahr 2014 und den Vorjahren bei Klageerhebung im Jahr 2018 gemäß § 194 Abs. 1 iVm. § 195 BGB verjährt waren. Ob dies mit der vom EuGH statuierten Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers in Einklang zu bringen wäre, ist nunmehr Gegenstand der Vorlagefrage, mit der sich der EuGH auseinander zu setzen haben wird.
Praxisrelevanz
Die vorliegend vom BAG aufgeworfene Frage ist für die Praxis von überragender Bedeutung, zumal der weitüberwiegende Teil der Arbeitgeber – wie auch der hiesige Beklagte – die vom EuGH erst im November 2018 statuierte Mitwirkungsobliegenheit in der Vergangenheit nicht beachtet haben dürfte. Da der EuGH in dieser Hinsicht keinen Vertrauensschutz gewährt, stellt sich in einer Vielzahl von Fällen die Frage, ob ein – noch dazu in Unkenntnis von ihrer Existenz – begangener Verstoß gegen die Mitwirkungsobliegenheit des Arbeitgebers zu einer unbegrenzten Kumulation von (Rest)urlaubsansprüchen führt, oder ob dem Arbeitgeber zumindest die Einrede der Verjährung als Regulativ zur Seite steht.
Die Antwort auf diese Frage ist keineswegs vorgezeichnet. So sei bspw. daran erinnert, dass der EuGH im Zusammenhang mit Langzeiterkrankungen eine unbegrenzte Kumulation von Urlaubsansprüchen verneint hat.
Fazit: Es bleibt spannend!