Update Arbeitsrecht Mai 2022
Fristlose Kündigung eines Betriebsratsmitglieds
LAG Baden-Württemberg 25.03.2022 – 7 Sa 63/21
Mitglieder des Betriebsrats haben gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG einen besonderen Kündigungsschutz. Danach ist eine Kündigung unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen. Für einen Arbeitgeber kommt eine Trennung von Betriebsratsmitgliedern trotz des besonderen Kündigungsschutzes insbesondere dann in Betracht, wenn diese gravierende Pflichtverletzungen begangen haben. Ein solch wichtiger Kündigungsgrund lag in dem jüngst vom LAG Baden-Württemberg zu entscheidenden Fall vor.
Sachverhalt
Der Kläger war beim beklagten Arbeitgeber über mehrere Jahre freigestelltes Betriebsratsmitglied und wies eine Betriebszugehörigkeit von rund 25 Jahren auf. Er war Mitglied im Personalausschuss des Betriebsrats, so dass er hinsichtlich des Umgangs mit personenbezogenen Daten geschult und hiermit vertraut war.
Der Arbeitgeber entschied sich zur außerordentlichen Kündigung, weil der Kläger Teile der Prozessakten aus einem vorherigen Rechtsstreit zwischen den Parteien mittels eines Drop-Box-Links veröffentlicht hatte. Der Kläger veröffentlichte dabei insbesondere auch Schriftsätze des beklagten Arbeitgebers. Die Besonderheit bestand vor allem darin, dass die Schriftsätze des beklagten Arbeitgebers personenbezogene Daten, insbesondere Gesundheitsdaten von anderen Arbeitnehmern, enthielten. Die Gesundheitsdaten konnten den anderen Arbeitnehmern konkret zugeordnet werden, da diese unter voller Namensnennung veröffentlicht wurden. Eine Schwärzung der Namen der anderen Arbeitnehmer erfolgte nicht. Die Veröffentlichung durch den Kläger richtete sich an einen größeren Verteilerkreis, der auf die Drop-Box zugreifen konnte. Erschwerend kam dabei hinzu, dass der Kläger den Verteilerkreis aufforderte, die Weiterverbreitung der verlinkten E-Mail zu veranlassen.
Das LAG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 25.03.2022 (7 Sa 63/21) entscheiden, dass die vom Arbeitgeber gegenüber dem Kläger ausgesprochene außerordentliche Kündigung wirksam ist.
Entscheidung
Das LAG Baden-Württemberg wies die Berufung des Klägers gegen das klagabweisende Urteil der ersten Instanz zurück und bestätigte damit, dass die vom Kläger begangenen Datenschutzverstöße eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Der Kläger habe durch die Veröffentlichung rechtswidrig und schuldhaft die Persönlichkeitsrechte der in den veröffentlichten Schriftsätzen genannten Arbeitnehmer verletzt. Die in einem gerichtlichen Verfahren von den Parteien gefertigten und zur Gerichtsakte eingereichten Schriftsätze seien zweckbestimmt. Sie seien gerichtsöffentlich, nicht aber für die Allgemeinheit oder die Betriebsöffentlichkeit bestimmt.
Das LAG Baden-Württemberg ließ insbesondere nicht die Argumentation des Klägers gelten, er habe zu dem Urteil aus dem vorherigen Rechtsstreit mit seinem Arbeitgeber Stellung nehmen wollen. Denn dem Kläger hätte die Möglichkeit offen gestanden, gegen das Urteil Berufung einzulegen, um seinen Rechtsstandpunkt darzulegen. Der Kläger hätte dadurch die Möglichkeit gehabt, in datenschutzrechtlich zulässiger Weise seine Stellungnahme abgeben zu können.
Das LAG Baden-Württemberg stellte zudem fest, dass es keiner vorherigen Abmahnung bedurfte. Dafür spreche die Schwere der vorsätzlichen Pflichtverletzung des Klägers, die sich nicht nur in einem einmaligen Fehlverhalten zeigt, sondern vom Kläger bewusst darauf angelegt war, durch die gewollte Weiterverbreitung durch den Verteilerkreis die Verletzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts der namentlich benannten Arbeitnehmer zu perpetuieren und infolgedessen zu intensivieren.
Wer Schriftsätze, in denen Daten, insbesondere auch besondere Kategorien personenbezogener Daten (Gesundheitsdaten), verarbeitet werden, bewusst und gewollt der Betriebsöffentlichkeit durch die Verwendung eines durch eine E-Mail zur Verfügung gestellten Links offenlegt und darüber hinaus den Adressatenkreis auffordert, die Weiterverbreitung der verlinkten E-Mail zu veranlassen, ohne dafür einen rechtfertigenden Grund zu haben, verletzt rechtswidrig und schuldhaft Persönlichkeitsrechte der in diesen Schriftsätzen namentlich benannten Personen. Eine solche Pflichtverletzung berechtigt somit zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung, insbesondere wenn der klagende Arbeitnehmer im Umgang mit personenbezogenen Daten geschult und vertraut war.
Praxishinweise
Das Urteil des LAG Baden-Württemberg verdeutlicht, dass gravierende Pflichtverletzungen von Betriebsratsmitgliedern zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung berechtigen können. Insbesondere die Verletzung von Persönlichkeitsrechten kann einen außerordentlichen Kündigungsgrund darstellen. Der vorliegende Rechtsstreit zeigt deutlich, dass die Missachtung von Datenschutzvorschriften nicht nur für die Arbeitgeberseite relevant ist, sondern auch für Arbeitnehmer arbeitsrechtliche Konsequenzen – bis hin zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung – haben kann.
Für Arbeitgeber ist es daher angezeigt, genau zu überprüfen, ob bei der Verbreitung von personenbezogenen Daten durch Arbeitnehmer ein rechtfertigender Grund hierfür vorliegt. Sollte dies nicht der Fall sein, kann dies einen rechtswidrigen und schuldhaften Datenschutzverstoß darstellen, der in einer außerordentlichen Kündigung des verursachenden Arbeitnehmers münden kann.