Newsletter Gesellschaftsrecht/M&A Dezember 2017
Grenzüberschreitender Formwechsel innerhalb der EU ohne gleichzeitige Sitzverlegung
Der EuGH hat mit Urteil vom 25. Oktober 2017 entschieden, dass ein Mitgliedstaat den grenzüberschreitenden Formwechsel unabhängig von einer wirtschaftlichen Betätigung am Zielort grundsätzlich gestatten muss. Eine Vorschrift, welche die Gesellschaft zur vorherigen Liquidation im Wegzugstaat verpflichtet, ist mit der europäischen Niederlassungsfreiheit unvereinbar.
Bisherige EuGH-Rechtsprechung
Die europäische Niederlassungsfreiheit verpflichtet die Mitgliedstaaten gemäß der EuGH-Entscheidung i.S. Cartesio nicht per se dazu, es einer Gesellschaft zu erlauben, den Verwaltungssitz in einen anderen EU-Staat zu verlegen. Erlaubt das Recht eines EUMitgliedstaats hingegen die Verlegung des tatsächlichen Sitzes in einen anderen Mitgliedstaat, ist der Zuzugsstaat gemäß der bisherigen EuGH Rechtsprechung i.S. Überseering und Inspire Art dazu verpflichtet, die bisherige Rechtsfähigkeit nach dem Recht des Wegzugsstaats zu achten. Zudem darf ein Mitgliedstaat eine Gesellschaft seit der Entscheidung des EuGH i.S. Sevic nicht daran hindern, sich in eine Gesellschaft nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats umzuwandeln, sofern dies nach dem Recht des Zuzugsstaats zulässig ist.
Die hier dargestellte Entscheidung des EuGH entwickelt diese Rechtsprechung fort. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die polnischen Gesellschaft „Polbud“ beschloss im Jahr 2011 die Verlegung des Gesellschaftssitzes nach Luxemburg ohne gleichzeitige Änderung des Orts der wirtschaftlichen Betätigung. 2013 wurde die Sitzverlegung vollzogen und ein Formwechsel in eine Luxemburger Gesellschaft mit beschränkter Haftung („Consoil Geotechnik Sàrl“) durchgeführt. Gleichzeitig wurde die Löschung im Handelsregister beantragt. Das polnische Registergericht lehnte diesen Löschungsantrag ab. Gegen diesen Beschluss erhob Polbud Klage.
Vorlagefrage
Das polnische Gericht legte dem EuGH in diesem Zusammenhang die Frage zur Entscheidung vor, ob ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Artt. 49, 54 AEUVG vorliegt, wenn die Löschung einer Gesellschaft im polnischen Handelsregister von einem Nachweis über die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft abhängig gemacht wird.
Recht auf grenzüberschreitende Umwandlung
Der EuGH stellt in seiner Entscheidung zunächst nochmals klar, dass die europäische Niederlassungsfreiheit auch den Anspruch einer Gesellschaft auf Umwandlung in eine dem Recht eines anderen Mitgliedstaats unterliegende Gesellschaft umfasse, solange die Gründungsvorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates erfüllt würden. Nicht erforderlich ist hingegen, dass die formwechselnde Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit fortan vorrangig in dem Zuzugstaat ausübt. Ein solches Vorgehen begründet nach Auffassung des EuGH noch keinen Missbrauch der unterschiedlichen gesetzlichen Vorschriften innerhalb der EU.
Vorheriges Liquidationsverfahren nicht zwingend erforderlich
Die gesetzliche Regelung eines Mitgliedstaats (in diesem Fall Polen), welche eine Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes einer Gesellschaft ohne Verlust ihrer Rechtspersönlichkeit in einen anderen Mitgliedstaat nur nach vorheriger Durchführung eines Liquidationsverfahrens zulässt (und ansonsten die entsprechende Löschung im Handelsregister des Wegzugstaats verbietet), ist demnach mit der Niederlassungsfreiheit nicht vereinbar. Denn eine solche Regelung – so der EuGH – sei geeignet, die grenzüberschreitende Umwandlung einer Gesellschaft zu erschweren oder ggf. sogar zu verhindern.
Auch keine Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls
Der EuGH verkennt nicht, dass Beschränkungen der europäischen Grundfreiheiten zwar grundsätzlich durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden können. Die dieser Entscheidung zugrunde liegende polnische Regelung sah jedoch pauschal eine Pflicht zur Vornahme eines Liquidationsverfahrens vor Durchführung eines grenzüberschreitenden Formwechsels vor. Diese Regelung beschäftige sich weder mit der Frage, ob tatsächlich eine Gefahr für die Interessen der Gläubiger, Minderheitsgesellschafter und Arbeiter bestehe noch mit der Möglichkeit einer weniger einschneidenden Maßnahme. Eine solche pauschale Bedingung für die Durchführung einer grenzüberschreitenden Umwandlung sei nach Ansicht des EuGH unverhältnismäßig und könne daher auch nicht durch etwaige Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt werden.
Fazit
Der BGH setzt mit der Entscheidung vom 25. Oktober 2017 seine bisherige Rechtsprechung in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungsmaßnahmen fort, indem er weiterhin die Durchsetzung der EU-weiten Niederlassungsfreiheit in den Mittelpunkt der Betrachtung stellt. Für die Zukunft wäre der Erlass einer europäischen Sitzverlegungsrichtlinie wünschenswert, um eine hinreichende Rechtssicherheit in diesem – infolge der EuGH-Rechtsprechung – zunehmend praxisrelevanten Bereich herzustellen.