29.05.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Mai 2024

Kein Mitbestimmungsrecht beim Einsatz generativer KI über Privataccounts

Arbeitsgericht Hamburg, Beschluss vom 16.01.2024 – 24 BVGa 1/24

Nach Auswertung des Statistischen Bundesamtes nutzten bereits 2023 etwa 12 % der Unternehmen in Deutschland mit mindestens 10 Mitarbeitern künstliche Intelligenz (KI). Bei Großunternehmen ab 250 Mitarbeitern lag die Quote bereits bei 35 %. Das Handelsblatt berichtete, dass sogar bereits 62 % der in Deutschland Beschäftigten mit einem Bürojob KI-Systeme im Arbeitsalltag nutzen. Mit der rasant fortschreitenden Etablierung von generativen KI-Chatbots wie „ChatGPT“ im Alltag nimmt auch die Implementierung von KI-Systemen in Unternehmen zur Automatisierung, Beschleunigung und Verbesserung wichtiger Geschäftsprozesse weiter an Fahrt auf.

Während sich Arbeitgeber und viele Mitarbeiter spürbare Erleichterungen durch den Einsatz von KI-Systemen versprechen, bleiben Betriebsräte oft skeptisch und warnen vor Überwachungsmöglichkeiten und negativen Folgen wie potenziellen Personalabbaumaßnahmen.  Vor diesem Hintergrund wollen Betriebsräte regelmäßig bei der Einführung und Ausgestaltung von KI-Systemen mitbestimmen.

Mit der Frage, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Gestattung der Nutzung von ChatGPT und vergleichbarer generativer KI-Systeme über private Mitarbeiterkonten zusteht, hatte sich jüngst das Arbeitsgericht Hamburg im Rahmen eines Eilrechtsschutzverfahrens zu beschäftigen.

Sachverhalt

In dem Verfahren stritt ein in Hamburg ansässiger Konzern im Bereich der Medizintechnik mit seinem Konzernbetriebsrat über die mitarbeiterseitige Nutzung von ChatGPT, das nach Willen des Arbeitgebers als neues Tool bei der täglichen Arbeit zur Unterstützung nutzbar gemacht werden sollte.

Hierzu wurde arbeitgeberseitig unter Hinweis auf die im Intranet bekanntgemachten KI-Guidelines der Einsatz entsprechender KI-Systeme auf den dienstlichen Systemen unter der Vorgabe zugelassen, dass die Mitarbeiter sich hierfür eigene, private Accounts auf dem Server des jeweiligen Herstellers anlegen und etwaig entstehende Kosten selbst tragen. Das KI-System darf dabei technisch nicht auf dem Computersystem des Arbeitgebers installiert, sondern nur mittels Webbrowser verwendet werden.

Der Konzernbetriebsrat hat im einstweiligen Rechtsschutz die Sperrung von ChatGPT und vergleichbarer generativer KI-Systeme verlangt, da eine eigenmächtige Gestattung aus seiner Sicht bestimmte Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 BetrVG sowie das Unterrichtungsrecht nach § 90 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG verletzt. Der Arbeitgeber müsse daher zunächst eine Konzernbetriebsvereinbarung für die Nutzung von KI-Tools abschließen.

Nach Auffassung des Arbeitgebers bestehen keine Mitbestimmungsrechte. Zum einen könne die Nutzung des KI-Systems keinen Überwachungsdruck erzeugen, da der Arbeitgeber technisch keine Eingriffs-, Kontroll- oder Zugriffsmöglichkeiten auf ChatGPT habe. Zum anderen seien die datenschutzrechtlichen Bedenken aufgrund der Guidelines mit Handlungsempfehlungen für den Einsatz des Tools ausgeräumt. Die für die Mitarbeiter freiwillige Nutzung von ChatGPT sei im Ergebnis nicht anders zu bewerten als die Nutzung der Google-Suchfunktion zur Arbeitserledigung.

Entscheidung

Das Arbeitsgericht Hamburg gab dem Arbeitgeber Recht und wies die Anträge des Konzernbetriebsrats vollumfänglich zurück. Die Gestattung der Nutzung generativer KI verletze hier weder Mitbestimmungs- noch Mitwirkungsrechte des Konzernbetriebsrats:

  • § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG sei nicht einschlägig, weil die in den Richtlinien enthaltenen Vorgaben zur Nutzung von ChatGPT und anderer generativer KI-Systeme nicht das mitbestimmungspflichtige Ordnungsverhalten, sondern das mitbestimmungsfreie Arbeitsverhalten berühren. Nach Auffassung des Arbeitsgerichts Hamburg stelle der Arbeitgeber hier lediglich ein neues Arbeitsmittel unter bestimmten Vorgaben zur Verfügung. Die Nutzung konkretisierende Richtlinien seien daher nur Ausdruck des Weisungsrechts (Art und Weise der Arbeitsleistung).
  • Ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG scheide aus, weil durch die Nutzung von ChatGPT mangels Meldung von Daten an den Arbeitgeber und fehlendem Zugriff auf vom Hersteller gewonnenen Informationen keine personenbezogenen Daten der Mitarbeiter verarbeitet und gespeichert werden. ChatGPT wurde schließlich nicht auf den betrieblichen Computersystemen installiert. Wenn also rein technisch nur der Hersteller von ChatGPT Daten aufzeichnen könne, gehe der Überwachungsdruck folglich nicht vom Arbeitgeber aus. Im Übrigen sei zwar der zu verwendende Webbrowser eine technische Einrichtung, mit der u.U. Leistungs- und Verhaltensinformationen der Mitarbeiter aufgezeichnet werden können. Da die Beteiligten jedoch bereits eine Konzernbetriebsvereinbarung zur Nutzung von Browsern abgeschlossen haben, sei ein diesbezügliches Mitbestimmungsrecht bereits verbraucht.
  • Schließlich sei mit Blick auf § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG nicht ersichtlich, dass die Einführung der KI-Software tatsächlich psychische Belastungen auslösen könne. Die pauschale Befürchtung des Konzernbetriebsrats rechtfertige jedenfalls kein Mitbestimmungsrecht.

Laut Beschwerdegericht ist gegen den Beschluss kein Rechtsmittel eingelegt worden, sodass die Entscheidung bereits rechtskräftig ist.

Praxistipp

Die erste arbeitsgerichtliche Entscheidung zur Einführung generativer KI-Systeme wie ChatGPT verdeutlicht, dass der Einsatz von KI nicht per se als potenziell gefährliche technische Überwachungseinrichtung der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegt. Dennoch wäre die Entscheidung vermutlich zu Lasten des Arbeitgebers ausgefallen, wenn die Betriebsparteien noch keine Konzernbetriebsvereinbarung zur Browsernutzung abgeschlossen oder die Mitarbeiter einen Unternehmens-Account unterhalten hätten.

Unternehmen, die mitbestimmungsfrei den Einsatz generativer KI einführen wollen, sollten darauf achten, dass die Mitarbeiter eigene Accounts anlegen, auf die arbeitgeberseitig keinerlei Zugriff erfolgen kann. Auch sollte geprüft werden, vorab eine Betriebsvereinbarung zur Nutzung von Webbrowsern abzuschließen, um später eine Webbrowser Anwendung der KI zu ermöglichen.

Neben mitbestimmungsrechtlichen Fragen und den datenschutzrechtlichen Vorgaben nach der DSGVO, müssen Unternehmen zukünftig auch noch die KI-Verordnung der EU (AI Act) beachten. Die KI-Verordnung legt fest, dass auch den Anwendern von KI-Systemen in bestimmten Fällen konkrete Pflichten treffen (z.B. Pflicht zur Verwendung entsprechend der Gebrauchsanweisung eines KI-Systems oder Pflicht zur Durchführung einer umfassenden Folgenabschätzung). Die Einführung von KI-Systemen stellt damit zukünftig angesichts der vielen zu beachtenden Vorschriften für Unternehmen eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar.

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