Update Arbeitsrecht Juni 2021
Kein Versicherungsschutz bei Sturz auf dem Weg zur Arbeitsaufnahme im Homeoffice
LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.11.2020 – L 17 U 487/19
Der von einem Arbeitnehmer auf dem Weg zur Aufnahme seiner Tätigkeit im Homeoffice zurückgelegte Weg ist weder als Weg zur Arbeit noch als Betriebsweg gesetzlich unfallversichert.
Sachverhalt
Der Kläger war als Mitarbeiter im Außendienst versicherungspflichtig beschäftigt und arbeitete regelmäßig auch im Homeoffice. Eines Morgens stürzte der Kläger auf dem Weg von seinen privaten Wohnräumen zur (erstmaligen) Arbeitsaufnahme auf der innerhäusigen Treppe. Dabei erlitt er einen Brustwirbelbruch.
Die beklagte Berufsgenossenschaft lehnte die Gewährung von Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab. Hiergegen klagte der Kläger vor dem SG Aachen. Das SG Aachen gab der Klage statt. Das LSG Nordrhein-Westfalen hob die Entscheidung des SG auf und wies die Klage ab.
Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen
Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen lagen die Voraussetzungen eines Arbeitsunfalls nicht vor. Die gesetzliche Unfallversicherung umfasst neben Unfällen bei der Ausübung der versicherten Tätigkeit auch Unfälle anlässlich von
- Betriebswegen: Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden.
Von der gesetzlichen Unfallversicherung erfasst werden außerdem
- Wegeunfälle: Unfälle, die sich anlässlich des unmittelbaren Weges von der häuslichen zur betrieblichen Arbeitsstätte ereignen.
Nach Ansicht des LSG Nordrhein-Westfalen war der von dem Kläger zurückgelegte Weg weder als Weg nach dem Ort der Tätigkeit (wege)unfallversichert, noch als versicherter Betriebsweg anzusehen.
Kein Wegeunfall
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG, welcher sich das LSG Nordrhein-Westfalen anschloss, beginnt die versicherte Tätigkeit bei Wegen nach dem Ort der Tätigkeit erst mit dem Durchschreiten der Haustür des Gebäudes, in dem sich die Wohnung des Versicherten befindet. Mithin kann ein im Homeoffice Beschäftigter niemals innerhalb des Hauses bzw. innerhalb der Wohnung auf dem Weg nach dem Ort der Tätigkeit wegeunfallversichert sein.
Kein Betriebsweg
Nach Auffassung des LSG Nordrhein-Westfalen habe der Mitarbeiter zum Unfallzeitpunkt auch keinen versicherten Betriebsweg zurückgelegt, als er die Treppe zur erstmaligen Arbeitsaufnahme in seinem häuslichen Arbeitsplatz hinabstieg. Zwar greife die für Wegeunfälle aufgezeigte Grenzziehung, dass der Versicherte die Außentüre des Wohngebäudes durchschritten haben muss, um überhaupt unter Versicherungsschutz stehen zu können, bei Betriebswegen gerade nicht, wenn sich sowohl die Wohnung als auch die Arbeitsstätte des Versicherten im selben Haus befinden. Die Annahme eines Betriebsweges scheide in dem vorliegenden Fall aber aus, weil sich der Mitarbeiter zum Zeitpunkt des Unfalls auf dem Weg in sein Arbeitszimmer zur erstmaligen Aufnahme seiner versicherten Tätigkeit am Unfalltag befand. Betriebswege sind nur die Wege, die in Ausübung der versicherten Tätigkeit zurückgelegt werden, nicht aber Vorbereitungshandlungen zur erstmaligen Aufnahme der versicherten Tätigkeit.
Gegen diese Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfalen wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung Revision zugelassen. Diese ist derzeit beim BSG unter dem Az. B 2 U 4/21 anhängig.
Änderungen beim Unfallversicherungsschutz durch das Inkrafttreten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes
Durch das am 18. Juni 2021 in Kraft getretene Betriebsrätemodernisierungsgesetz wird der Unfallversicherungsschutz im Homeoffice dem in der betrieblichen Arbeitsstätte gleichgestellt. Außerdem wird der Unfallversicherungsschutz von Arbeiten im Homeoffice auf die unmittelbaren Wege erstreckt, die sie wegen ihrer beruflichen Tätigkeit zur außerhäuslichen Betreuung ihrer Kinder zurücklegen.
Der vorliegende Fall wäre wohl auch nach der gesetzlichen Neuregelung nicht anders zu entscheiden. Danach besteht Versicherungsschutz im Homeoffice in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit in der betrieblichen Arbeitsstätte. Erbringt ein Arbeitnehmer seine Tätigkeit in der betrieblichen Arbeitsstätte, beginnt die versicherte Tätigkeit bei Wegen nach dem Ort der Tätigkeit erst mit dem Durchschreiten der Haustür des Gebäudes, in dem sich die Wohnung des Versicherten befindet. Würde der Weg zur erstmaligen Arbeitsaufnahme im Homeoffice innerhalb der privaten Wohnräume von dem Versicherungsschutz umfasst sein, hätte dies keine Gleichstellung, sondern eine Besserstellung der im Homeoffice tätigen Arbeitnehmer zur Folge.
Fazit
Im Homeoffice tätige Beschäftigte genießen grundsätzlich den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, die Tücke liegt aber im Detail. Denn die Zuordnung einer Tätigkeit zu einer versicherten Tätigkeit ist stark einzelfallabhängig und insbesondere im Hinblick auf Wegeunfälle bislang nicht abschließend durch die Rechtsprechung geklärt. Eine Einzelfallbetrachtung bleibt insbesondere auch nach in Kraft treten des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes weiterhin zwingend notwendig.