Update Arbeitsrecht Februar 2023
Kündigung aus betriebsbedingten Gründen in einem Kleinbetrieb
LAG Düsseldorf, Urteil vom 02.08.2022 - 3 Sa 285/22
Sogenannte Kleinbetriebe im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes sind kündigungsrechtlich privilegiert. Dadurch soll vermieden werden, dass Inhaber derartiger Betriebe mit der Anwendung des komplizierten Kündigungsrechts, durch langwierige Kündigungsschutzverfahren und etwaige Abfindungsleistungen nicht unangemessen belastet und in ihrer wirtschaftlichen Betätigung eingeschränkt werden. Deshalb gelten die meisten Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel zehn oder weniger Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten beschäftigt werden. Insbesondere findet in Kleinbetrieben keine Überprüfung der sozialen Rechtfertigung arbeitgeberseitiger Kündigungen nach der kündigungsrechtlichen „Grundnorm“ des § 1 KSchG statt. Dies bedeutet, dass eine arbeitgeberseitige Kündigung im Kleinbetrieb grundsätzlich keines verhaltens-, personen- oder betriebsbedingten Grundes bedarf, damit sie sozial gerechtfertigt und somit wirksam ist.
Die arbeitgeberseitige Kündigung im Kleinbetrieb ist durch diese Privilegierung allerdings nicht jeglicher inhaltlichen Überprüfung entzogen. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass auch in Kleinbetrieben eine Missbrauchs- und Sittenwidrigkeitskontrolle unter Berücksichtigung der §§ 138, 242 BGB stattfindet. Danach kann eine Kündigung auch außerhalb des Anwendungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes im Ausnahmefall unwirksam sein, wenn sie gegen die Gebote von Treu und Glauben verstößt oder als sittenwidrig anzusehen ist.
Wann ein solcher Ausnahmefall gegeben sein kann, ist Gegenstand zahlreicher arbeitsgerichtlicher Entscheidungen. Jüngst hatte sich nun das Landesarbeitsgericht Düsseldorf in seinem Urteil vom 02.08.2022 unter dem Aktenzeichen 3 Sa 285/22 mit der praxisrelevanten Problematik auseinandergesetzt, inwiefern in Kleinbetrieben kündigungsrechtliche Grenzen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes bestehen.
Sachverhalt
Die beklagte Arbeitgeberin, die einen Kleinbetrieb im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes unterhält, hatte gegenüber der klagenden Arbeitnehmerin eine ordentliche Beendigungskündigung des Arbeitsverhältnisses ausgesprochen. In der schriftlichen Kündigungserklärung vom 29.10.2021 hieß es wörtlich, dass die Beklagte das Arbeitsverhältnis „fristgerecht zum 30.11.2021, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt aus betriebsbedingten Gründen“ kündige. Mit Stellenausschreibungen vom 14.09.2021 und vom 11.10.2021 hatte die Beklagte allerdings jeweils eine Stelle ausgeschrieben, deren Beschreibung gleichlautend mit der Arbeitsbezeichnung der Klägerin war. Die Klägerin trug vor, dass der Arbeitgeber im Falle der Nennung eines Kündigungsgrundes auch im Kleinbetrieb zur Wahrheit verpflichtet sei. Die Klägerin zu den Kündigungsgründen anzulügen, begründe die Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 1 BGB, zumindest aber die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB.
Entscheidung
Die erstinstanzlich erfolglose Kündigungsschutzklage blieb auch vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf ohne Erfolg.
Da § 1 Abs. 2 KSchG nicht auf Kleinbetriebe Anwendung findet, ließ das Landesarbeitsgericht Düsseldorf offen, ob die Kündigung sozial ungerechtfertigt wäre, wenn es sich bei der Beklagten nicht um einen Kleinbetrieb gehandelt hätte. Die streitgegenständliche Kündigung ist nach Ansicht des Gerichts nicht sittenwidrig. Zur Begründung stellt das Gericht fest, dass einer neutralen, nicht bereits seinem Inhalt nach gegen die grundlegenden Wertungen der Rechts- oder Sittenordnung verstoßenden Kündigung, ein dem Handelnden persönlich vorwerfbares Verhalten zugrunde liegen müsste, damit die Kündigung als sittenwidrig anzusehen wäre. Dabei, so das Gericht, geht es in erster Linie um den Schutz des Arbeitnehmers vor einer Kündigung, die auf willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruht. Im vorliegenden Fall konnte das Gericht keine Willkür erkennen. Zunächst sei die Angabe „aus betriebsbedingten Gründen“ nicht mit der Formulierung aus § 1 Abs. 2 KSchG („dringende betriebliche Erfordernisse“) gleichzusetzen. Die Auslegung des Begriffs „betriebsbedingt“ könne auch dahingehend verstanden werden, dass die Person nicht mehr „in den Betrieb passt“. Ferner habe die von der Beklagten dargelegte Motivation zur Angabe des Grundes darin gelegen, der Klägerin „keine Steine in den Weg legen zu wollen“. Dies ist nach Ansicht des Gerichts eine hinreichend nachvollziehbare Erklärung. Außerdem dürfe es der Beklagten nicht zum Nachteil gehalten werden, wenn sie unzutreffende Kündigungsgründe angibt, denn die Beklagte müsse grundsätzlich überhaupt keine Kündigungsgründe angeben.
Die Kündigung verstößt nach dem Gericht auch nicht gegen die Grundsätze von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. Das Gericht hat diesbezüglich einen Verstoß gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens erwogen, einen solchen aber im Ergebnis abgelehnt. Es könne kein vorangegangenes, vertrauenserweckendes Verhalten der Beklagten festgestellt werden. Selbst wenn die Klägerin vor Ausspruch der Kündigung von der Stellenausschreibung erfahren hätte, würde dadurch kein Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses erweckt, sondern würde dieses im Gegenteil schmälern.
Praxistipp
Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf enthält eine geradezu lehrbuchartige Prüfung einer arbeitgeberseitigen Kündigung im Kleinbetrieb. Auch wenn das Landesarbeitsgericht Düsseldorf die Bedürfnisse von Kleinbetrieben im Kündigungsrecht im Rahmen der Missbrauchs- und Sittenwidrigkeitskontrolle (§§ 138, 242 BGB) anerkennt, stellt es zugleich klar, dass das Kündigungsrecht des Arbeitgebers auch im Kleinbetrieb nicht schrankenlos besteht, denn zumindest erkennbar willkürliche Motive für die Kündigung können zu deren Unwirksamkeit nach den §§ 138 und 242 BGB führen.
In der Praxis sollte in „Grenzfällen“ stets geprüft werden, ob die Kleinbetriebsklausel für einen Betrieb eröffnet ist, ob also regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden. Wichtig zu wissen ist dabei, dass die Anzahl der Arbeitnehmer nicht rein „nach Köpfen“ bestimmt wird, sondern teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer – abhängig von der wöchentlichen Arbeitszeit – teilweise nur mit dem Faktor 0,5 bzw. 0,75 zu berücksichtigen sind.