30.01.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Januar 2023

LAG Berlin-Brandenburg: Neues zum Annahmeverzugslohnrisiko nach Ausspruch einer Arbeitgeberkündigung

LAG Berlin-Brandenburg vom 30. September 2022 - 6 Sa 280

Die Risikoeinschätzung, inwieweit der Arbeitgeber nach Ausspruch einer (möglicherweise rechtsunwirksamen) Kündigung die Vergütung für den gesamten Zeitraum nach Freistellung des Arbeitnehmers bzw. nach Ablauf der Kündigungsfrist schuldet, ist eine entscheidende Weichenstellung dafür, ob und unter welchen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine gütliche Einigung zwischen den Arbeitsvertragsparteien gelingt. Dem liegt die gesetzliche Ausgangssituation zugrunde, dass der Anspruch des Arbeitnehmers auf Annahmeverzugslohn nicht schrankenlos besteht: Erzielt der Arbeitnehmer zwischenzeitlich anderweitigen Verdienst bei einem anderen Arbeitgeber oder aufgrund selbständiger Tätigkeit, wird dieser anspruchsmindernd auf seinen Vergütungsanspruch angerechnet. Das gleiche gilt, wenn der Arbeitnehmer es unterlässt, einer zumutbaren Erwerbsmöglichkeit nachzugehen (sog. Böswilliges Unterlassen von Zwischenverdienst).

Während des - bisweilen über mehrere Jahre - andauernden Kündigungsschutzprozesses steht der Arbeitgeber jedoch häufig vor der Herausforderung, nicht verlässlich einschätzen zu können, ob zu seinen Gunsten die gesetzlichen Anrechnungstatbestände geltend gemacht werden können. Er kann also zunächst keine Auskunft darüber verlangen, ob der Arbeitnehmer zwischenzeitlich anderweitigen Verdienst erzielt hat. Eine Einschätzung, ob der Arbeitnehmer möglicherweise den Erwerb anderweitigen Zwischenverdiensts böswillig unterlassen hat, ist ihm nahezu unmöglich. Dies gilt erst Recht für die entsprechende Darlegung im anschließenden Vergütungsrechtsstreit. Gleichwohl trägt der Arbeitgeber in beiden Fällen die Darlegungs- und Beweislast. In Bezug auf ein böswilliges Unterlassen von Zwischenverdienst hat der Arbeitgeber somit im Rechtsstreit darzulegen und zu beweisen, dass eine Erwerbsgelegenheit tatsächlich bestand. Dies umfasst nach der älteren arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung auch die Darlegung und den Beweis darüber, dass der Arbeitnehmer im Falle einer (hypothetischen) Bewerbung tatsächlich eingestellt worden wäre und dementsprechend auch Zwischenverdienst erzielt hätte. Da dies regelmäßig nicht möglich ist, läuft die gesetzlich vorgesehene Anrechnungsmöglichkeit bei böswilligem unterlassenem Zwischenverdienst de facto häufig ins Leere.

Diese Gemengelage führt dazu, dass sich das Annahmeverzugslohnrisiko im Kündigungsschutzprozess und somit der Druck auf den Arbeitgeber mit zunehmendem Zeitablauf immer weiter erhöht. Dies setzen Arbeitnehmer bisweilen gezielt prozesstaktisch ein, um überhöhte Abfindungsforderungen gegen den Arbeitgeber durchzusetzen.

Das Bundesarbeitsgericht hat in seiner jüngeren Rechtsprechung ein erstes Korrektiv vorgenommen, indem es einen - gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehenen - arbeitgeberseitigen Auskunftsanspruch hinsichtlich der dem Arbeitnehmer vom Jobcenter und der Arbeitsagentur unterbreiteten Vermittlungsvorschläge anerkennt. Die vorliegende Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg geht noch einen Schritt weiter.

Sachverhalt

In dem zu entscheidenden Fall waren gegenüber dem Kläger zunächst im Jahr 2017, sodann im Jahr 2019 - letztlich rechtsunwirksame - Kündigungen ausgesprochen worden. Die Bundesagentur für Arbeit bzw. das Jobcenter unterbreiteten dem Kläger während der Kündigungsrechtsstreite diverse Vermittlungsvorschläge. Sanktionen gegen den Kläger verhängten sie nicht. Für nahezu vier Jahre erzielte der Kläger keinerlei Zwischenverdienst. Dies, obgleich er geltend machte, insgesamt 104 Bewerbungen per E-Mail versandt zu haben.

Entscheidung

Nachdem der Kläger mit seiner Zahlungsklage auf Annahmeverzugslohn für die Monate Mai 2017 bis April 2021 bereits vor dem Arbeitsgericht Berlin unterlag, hat das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen. Es hat im vorliegenden Fall geurteilt, dass sich der Zahlungsanspruch wegen böswilligen Unterlassens der Annahme zumutbarer Arbeit der Höhe nach auf Null beläuft. Denn der Arbeitnehmer dürfe nach den gesetzlichen Vorschriften nicht untätig bleiben, wenn sich ihm eine realistische Arbeitsmöglichkeit bietet. Die Arbeitgeberin habe ihrer Darlegungslast genügt und hinreichende Indizien angeführt, aus denen sich die Zumutbarkeit der Arbeit und eine mögliche Böswilligkeit des Unterlassens anderweitigen Erwerbs ergebe.

Dies waren zusammengefasst die Folgenden:

  • Lückenhafte Bewerbung des Klägers auf die von der Arbeitsagentur bzw. dem Jobcenter unterbreiteten Vermittlungsvorschläge,
  • Keine nachgewiesenen Bewerbungsbemühungen des Klägers vor dem 25. Oktober 2018,
  • Kein Vortrag des Klägers dazu, wieso er auf Antwortmails von Bewerbungen nicht reagierte,
  • Kein Vortrag des Klägers, warum er in den insgesamt 29 Fällen, in denen er auf seine Bewerbung keine Absage erhalten hat, nicht wenigstens einmal nachfragte;
  • Lediglich 103 Bewerbungen während eines Zeitraums von 29 Monaten; mithin durchschnittlich weniger als eine Bewerbung pro Woche;
  • Unzureichende Qualität der verfassten Bewerbungen (verhältnismäßig kurzes und jeweils nicht individualisiertes Anschreiben mit Rechtschreibfehlern).

Den vorstehenden Indizien sei der Kläger nicht substantiiert entgegengetreten.

Das Gericht hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen. Ob eine Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt wurde, ist nicht bekannt.

Praxishinweis

Die Entscheidung ist aus Arbeitgebersicht ebenso begrüßenswert wie instruktiv. Nachdem das Bundesarbeitsgericht den Arbeitgebern bereits im Jahr 2020 - entgegen seiner früheren Rechtsprechungslinie - im Annahmeverzugslohnprozess einen Auskunftsanspruch über Vermittlungsvorschläge unter Nennung von Tätigkeit, Arbeitszeit, Arbeitsordnung Vergütung zugesprochen hat, werden nunmehr Indizien aufgezeigt, die gegen ernsthafte Bewerbungsbemühungen des Arbeitnehmers sprechen können. Hierdurch verschiebt sich das Annahmeverzugslohnrisiko, dass de facto häufig zulasten des Arbeitgebers ausschlägt, ein weiteres Stück in die Sphäre des Arbeitnehmers. Dies ist auch sachgerecht, weil sich die Rechtswirksamkeit einer Kündigung regelmäßig aus verschiedentlichen Gründen nicht rechtssicher prognostizieren lässt. Angesichts der derzeit bestehenden Arbeitsmarktsituation und dem branchenübergreifend bestehenden Fachkräftemangel, ist es nicht einsehbar, weshalb Arbeitnehmer, die - wie vorliegend - jahrelang während des andauernden Kündigungsschutzprozesses keine ernstlichen Bewerbungsbemühungen entfalten, einen ungekürzten Anspruch auf Annahmeverzugslohn haben sollen. Insofern geht von der vorliegenden Entscheidung auch eine positive arbeitsmarktpolitische Signalwirkung aus, weil Arbeitnehmern höhere Bewerbungsbemühungen auferlegt werden, als dies bislang nach der Rechtsprechung der Fall war. Ob sich das Annahmeverzugslohnrisiko des Weiteren dadurch vermindern lässt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer während des laufenden Kündigungsschutzprozesses auffordert, sich auf konkrete, arbeitgeberseitig recherchierte Stellenausschreibungen, zu bewerben, ist höchstrichterlich weiterhin nicht geklärt. Hieraus resultierende Rechtsunsicherheit sollte aus Arbeitgebersicht daher unbedingt (weiterhin) taktisch genutzt werden.

 

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