27.03.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht März 2024

Männlicher Bewerber als „Sekretärin“ - Befangenheit aller LAG-Richter

BAG 25.01.2024 - 8 AS 17/23

Selbst wenn ein Kläger zahlreiche AGG-Entschädigungsverfahren gegen dieselbe Beklagte vor demselben Gericht einreicht und dabei mehrere Befangenheitsanträge gegen nahezu das gesamte Gericht stellt, kann dieses dennoch unvoreingenommen entscheiden. So hat jüngst das BAG in seinem Beschluss vom 25.01.2024 (Az. 8 AS 17/23) entschieden.

Sachverhalt

Der Kläger aus Niedersachsen erhob u.a. in Berlin innerhalb von 15 Monaten elf Klagen wegen Geschlechtsdiskriminierung, die auf identischen Stellenausschreibungen für die Position „Sekretärin“ auf demselben Portal von eBay-Kleinanzeigen basierten. Durch vorgerichtliche Anschreiben, die stets denselben Inhalt hatten, forderte der Kläger sodann Schadensersatz aufgrund einer Diskriminierung unter Androhung eines Klageverfahrens mit dem Hinweis auf die dort anfallenden höheren Kosten. Erstinstanzlich wurde der Hinweis auf die elf anderen, fast identischen Parallelverfahren des Klägers von keiner Partei vorgetragen. Die Gerichte berücksichtigten diese Verfahren dennoch bei ihrer Entscheidung aufgrund der Gerichtsbekanntheit der Tatsachen.

Sowohl das AG als auch die 4. Kammer des Landgerichts Berlin-Brandenburg (LAG) bejahten zwar eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts, lehnten jedoch einen Entschädigungsanspruch aufgrund eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers gem. § 242 BGB ab. Eine ernstliche Bewerbung auf die Stelle als „Sekretärin“ könne nicht angenommen werden. Vielmehr sei die Bewerbung alleine aus dem Zweck erfolgt, den formalen Status als Bewerber im Sinne des § 6 Abs. 1 S. 2 AGG zu erlangen, um so Entschädigungs- bzw. Schadensersatzansprüche geltend machen zu können. Die anderen 15 Verfahren durften, so das LAG, aufgrund der Gerichtsbekanntheit der Tatsachen ohne Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz berücksichtigt werden.

Der Kläger stellte Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden der Kammer 4, mehrere ehrenamtliche Richter sowie „sämtliche Befangene Vertreter des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg ausweislich Ziffer 1.2.1 des Geschäftsverteilungsplans". Unter anderem wirft er dem Vorsitzenden vor, das Gericht habe unter Verletzung des Beibringungsgrundsatzes fehlerhafte Annahmen über den Rechtsmissbrauch seiner Klage getroffen, obwohl die Beklagte diesen Einwand nicht erhoben habe. Auch seien rechtswidrig Akten anderer Kammern beigezogen und mehrere Ablehnungsgesuche zu Unrecht zurückgewiesen worden. Die Kammer würde gegen geltendes Recht verstoßen, intern sei abgesprochen worden, seine Klagen abzuweisen.

Entscheidung

Das BAG hat entschieden, dass die Ablehnungsgesuche gegen die Vorsitzende der Kammer 6 unbegründet seien, diejenigen gegen Vorsitzenden der Kammer 8, 10, 12 und 14 unzulässig. Von einer Entscheidung bezüglich der Ablehnungsgesuche gegen die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter sowie hinsichtlich der Vorsitzenden der Kammer 4 und den anderen Vorsitzenden sah das BAG im Rahmen seiner Ermessensausübung ab, da eine Entscheidung über sämtliche Ablehnungsgesuche für die Wiederherstellung der Entscheidungsfähigkeit des LAG nicht erforderlich sei.

Ein begründetes Ablehnungsgesuch gegen die Vorsitzende der Kammer 6 ergebe sich nicht daraus, dass diese bereits andere Ablehnungsgesuche zuvor als unzulässig verworfen habe.

Damit einer Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit entsprochen werden könne, müsse nach § 42 Abs. 2 ZPO ein Grund vorliegen, der geeignet sei, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters oder einer Richterin zu rechtfertigen. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn ein Beteiligter bei objektiver Betrachtung davon ausgehen könne, dass das Gericht nicht unvoreingenommen entscheiden könne. Die vermeintliche Fehlerhaftigkeit der Rechtsanwendung sei - mit Ausnahme offensichtlicher Unhaltbarkeit - nicht geeignet, eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Anzeichen dafür, dass bei den Entscheidungen über frühere Ablehnungsanträge und Anhörungsrügen des Klägers eine offensichtlich unhaltbare Rechtsanwendung zugrunde lag, gäbe es nicht. Eine Rechtsanwendung gelte nicht deshalb als offensichtlich unhaltbar, nur weil die Entscheidungen über die Anträge nicht der Rechtsauffassung des Klägers gefolgt seien.

Die Unzulässigkeit gegen die Vorsitzenden der Kammern 8, 10, 12 und 14 ergebe sich aus der Ungeeignetheit der Befangenheitsbegründung. Ein Ablehnungsgesuch, das sich pauschal gegen einen gesamten Spruchkörper oder gegen sämtliche Richter und Richterinnen eines Gerichts richte, sei in der Regel eindeutig unzulässig.

Aufgrund dieser Entscheidung sei die Vorsitzende der Kammer 6 in der Lage, über die Ablehnungsgesuche gegen den Vorsitzenden der Kammer 4 und die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter zu entscheiden. Für den Fall, dass weitere Ablehnungsgesuche in Entschädigungsverfahren des Klägers ergehen, habe das LAG eine selbstständige Verwerfung als unzulässig zu erwägen.

Fazit

Inhaltlich hat das BAG weder zum Entschädigungsanspruch noch zu einem möglichen Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz Stellung genommen, auch nicht im obiter dictum. Die Entscheidung des BAG kann aber zumindest als Indiz dahingehend zu werten sein, dass ein Verstoß gegen den Beibringungsgrundsatz verneint wird, trotz potenzieller Aushöhlung bestehender Verfahrensgrundsätze.

Die Frage, ob das „AGG-Hopping“ des hiesigen Klägers Erfolg haben wird, wird das BAG hingegen bald in einem nahezu identischen Parallelverfahren des Klägers entscheiden müssen (Az. 8 AZR 21/24). Eine Entscheidung im Sinne der vorherigen Instanzen wäre begrüßenswert, da das AGG nicht als Instrument für ein Geschäftsmodell unter systematischer und rechtsmissbräuchlicher Ausnutzung des Gesetzes dienen sollte. Die Entscheidung des BAG bleibt abzuwarten. 

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