Update Arbeitsrecht Januar 2020
„Neue Krankheit“ = neuer Entgeltfortzahlungsanspruch?
BAG, Urteil vom 11. Dezember 2019, 5 AZR 505/18
Im Krankheitsfall müssen Arbeitgeber ihren Arbeitnehmern ihr Entgelt sechs Wochen fortzahlen. Arbeitnehmer, die unmittelbar nach Ablauf von sechs Wochen erneut wegen einer anderen, „neuen“, Krankheit krankgeschrieben werden, müssen im Streitfall beweisen, dass die alte Krankheit bereits überwunden war. Nur dann ist der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber auf Entgeltfortzahlung gegeben.
SACHVERHALT
Eine Arbeitnehmerin ließ sich zunächst aufgrund eines psychischen Leidens für mehr als drei Monate krankschreiben. Unmittelbar im Anschluss an diese Arbeitsunfähigkeit ließ sich die Arbeitnehmerin von einer anderen Ärztin wegen einer geplanten Operation erneut krankschreiben. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wurde der Arbeitnehmerin im Hinblick auf die geplante Operation als „Erstbescheinigung“ für insgesamt weitere sechs Wochen ausgestellt. In dieser Zeit erhielt die Arbeitnehmerin weder ihr Gehalt noch Krankentagegeld von ihrer Krankenversicherung.
Unmittelbar nach Ablauf der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund der Operation begann die Arbeitnehmerin eine Psychotherapie bei einem Neurologen.
Sie ist der Ansicht, dass ihr Arbeitgeber ihr für den Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Operation sowie der damit verbundenen „Erstbescheinigung“ Entgeltfortzahlung in Höhe von rund EUR 3.400 brutto schuldet.
Das Arbeitsgericht Hannover hat der Klage stattgegeben, das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat die Klage – nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von drei Ärzten – abgewiesen.
ENTSCHEIDUNG
Die Revision der Arbeitnehmerin hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Es ist der Auffassung, dass die Arbeitnehmerin eine Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber nur beanspruchen könne, wenn sie nachweisen könne, dass die ursprüngliche Arbeitsunfähigkeit zu Beginn der neuen Arbeitsunfähigkeit bereits beendet gewesen sei.
Diesen Beweis habe die Arbeitnehmerin vorliegend nicht geführt. Die Beweisaufnahme des LAG habe gezeigt, dass nicht klar festgestellt werden konnte, ob ein einheitlicher Verhinderungsfall vorlag oder nicht. Keiner der vernommenen Ärzte konnte die Heilung der psychischen Erkrankung mit Ablauf der diesbezüglichen (ersten) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bestätigen.
Zweifel gingen – aufgrund der der Arbeitnehmerin obliegenden Beweislast – zu Lasten der Arbeitnehmerin und führen nach der Auffassung des BAG im Ergebnis dazu, dass der Arbeitnehmerin kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zustehe.
PRAXISTIPP
Gerade bei Spannungen im Arbeitsverhältnis neigen manche Arbeitnehmer dazu, sich der Situation durch „gelbe Scheine“ zu entziehen – auch über Monate.
Arbeitgeber sollten vor Zahlung des Entgelts im Krankheitsfalle prüfen, ob dem Arbeitnehmer tatsächlich ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung zusteht.
Das Ausstellen einer „Erstbescheinigung“ im Anschluss an eine mindestens sechswöchige Arbeitsunfähigkeit, führt nicht zwingend dazu, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung erneut auflebt. In einem solchen Fall muss der Arbeitnehmer erst einmal beweisen, dass seine „alte Krankheit“ bis zum Ende der diesbezüglichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgeheilt war. Das wird erfahrungsgemäß bei einer „psychischen Erkrankung“ oftmals nicht der Fall sein, bzw. wird ein einheitlicher Verhinderungsfall oftmals zumindest nicht auszuschließen sein und damit den Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers zunichtemachen.