Update Compliance 10/2022
Neuer Versuch - neues Glück für Hinweisgeber? Der neue Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes
Das Bundesjustizministerium hat in der vergangenen Woche den lange erwarteten Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes (HinSchG-E) vorgelegt. Mit dem Gesetz wird die EU-Hinweisgeberschutzrichtlinie in nationales Recht umgesetzt – was überfällig ist. Der Entwurf befindet sich derzeit in der Abstimmung mit anderen Ministerien, die in einem Regierungsentwurf münden wird. Die Verabschiedung eines Hinweisgeberschutzgesetzes wird noch für dieses Jahr erwartet.
Ziel des Gesetzes ist, den Hinweisgeberschutz in Deutschland in Einklang mit den europäischen Vorgaben wirksam und nachhaltig auszubauen und zu verbessern. Wer im Zusammenhang mit seiner (zukünftigen) beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt hat und diese an die vorgesehenen Meldestellen meldet oder offenlegt, soll in Zukunft besser geschützt werden. Benachteiligungen von Hinweisgebern sollen ausgeschlossen und betroffenen Personen (sowohl hinweisgebenden Personen als auch Hinweisgeberstellen und von Hinweisen betroffenen Personen) Schutz und Rechtssicherheit gegeben werden. Entsprechend umfassende gesetzliche Regelungen existieren bislang in Deutschland nicht.
EU-Hinweisgeberrichtlinie und Umsetzung in Deutschland:
Der Entwurf des HinSchG dient zunächst der Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1937 (HinSch-RL). Die HinSch-RL war am 16. Dezember 2019 in Kraft getreten und verpflichtet die EU-Mitgliedstaaten, die darin enthaltenen Vorgaben, unter anderem die Einrichtung von Hinweisgeberstellen und den Schutz von Hinweisgebern, bis zum vergangenen 17. Dezember 2021 in nationales Recht umzusetzen.
Der erste Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes, der auf Grundlage der HinSch-RL bereits im März 2021 durch das Bundesministerium der Justiz (BMJ) vorgelegt worden war, scheiterte mangels entsprechender Einigkeit der Vorgängerregierung.
Auch aus diesem Grund verpasste Deutschland die Umsetzungsfrist der HinSch-RL, sodass vor wenigen Wochen ein förmliches Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland eingeleitet wurde.
Vor diesem Hintergrund wurde nun ein neuer HinSchG-E vorgelegt, dessen Inkrafttreten – gegebenenfalls mit Anpassungen – noch dieses Jahr erwartet wird.
Neuer Entwurf eines Hinweisgeberschutzgesetzes:
Ziele des HinSchG-E sollen – neben der Umsetzung der HinSch-RL – die Verbesserung des Hinweisgeberschutzes in Deutschland sowie Rechtsklarheit und -sicherheit für hinweisgebende Personen sowie Meldestellen sein. Auch von Hinweisen betroffene Personen sollen geschützt werden.
Der persönliche Anwendungsbereich des HinSchG-E ist entsprechend den Vorgaben der HinSch-RL sehr weit gefasst und erfasst sämtliche hinweisgebende Personen sowohl in der Privatwirtschaft als auch im gesamten öffentlichen Sektor. Dies sind – ohne Einschränkung – alle Personen, die in Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder in ihrem beruflichen Umfeld Informationen über Verstöße erlangt haben. Der erforderliche Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit ist dabei bereits anzunehmen, wenn laufende, zukünftige oder frühere berufliche Tätigkeiten betroffen sind und sich hinweisgebende Personen im Falle einer Meldung oder Offenlegung hypothetisch Repressalien ausgesetzt sehen könnten. Dies wäre beispielsweise bei (früheren sowie zukünftigen) Arbeitnehmer:innen, Auszubildenden, Beamt:innen, Richter:innen, Soldat:innen, Leiharbeitnehmer:innnen sowie arbeitnehmerähnlichen Personen der Fall.
Gegenstand von Meldungen nach dem HinSchG-E sind Verstöße, das heißt Handlungen oder Unterlassungen in Zusammenhang mit einer beruflichen, unternehmerischen oder dienstlichen Tätigkeit, die rechtswidrig sind. Nicht geschützt wird die Meldung oder Offenlegung von Informationen über (rein) privates Fehlverhalten, das keinen Bezug zu der jeweiligen beruflichen Tätigkeit hat, auch wenn die hinweisgebende Person von diesem im beruflichen Kontext erfahren hat.
Der sachliche Anwendungsbereich des HinSchG-E erfasst dabei neben den von der HinSch-RL vorgesehenen Rechtsbereichen (EU-Recht) auch Teile des mit diesen korrespondierenden nationalen Rechts sowie das deutsche Strafrecht und bestimmte Ordnungswidrigkeiten.
Meldungen oder Offenlegungen auch in diesen Rechtsbereichen sollen indes dann nicht vorgenommen werden, wenn vorrangige Meldesysteme existieren oder die Meldung Informationen beinhaltet, die Verschwiegenheits- oder Geheimhaltungspflichten unterfallen. Diese Abgrenzung wird im Einzelfall erhebliche Schwierigkeiten mit sich bringen.
Hinweis: Es entspricht bereits heute der gängigen Praxis, Hinweisgebersysteme nicht auf die gesetzlich vorgesehenen Themenbereiche zu beschränken, sondern z. B. auch auf interne Compliance-Verstöße anzuwenden. Dies ist grundsätzlich zulässig, allerdings wird sich der Whistleblower nur bei Meldungen, die die vom HinSchG erfassten Themengebiete betreffen, auf das gesetzliche Schutzinstrumentarium verlassen können. Zudem ist die Verarbeitung von Hinweisen außerhalb des Anwendungsbereichs des HinSchG besonderen Anforderungen, z. B. des Datenschutzrechts, ausgesetzt.
Als Meldewege sieht der Gesetzesentwurf mit internen Meldesystemen (innerhalb des betroffenen Unternehmens oder der betroffenen Behörde) und externen Meldesystemen (bei einer unabhängigen Stelle) zwei gleichwertig nebeneinanderstehende Meldekanäle vor:
Nach dem HinSchG-E sind alle Beschäftigungsgeber, das heißt natürliche und juristische Personen des privaten Rechts, rechtsfähige Personengesellschaften und sonstige rechtsfähige Personenvereinigungen, die regelmäßig mindestens 50 Beschäftigte beschäftigen, unmittelbar (ab Inkrafttreten) verpflichtet, interne Meldestellen einzurichten und zu betreiben, an die sich Beschäftigte und Leiharbeitnehmer:innen mit Informationen über Verstöße wenden können. Kleinere private Beschäftigungsgeber mit regelmäßig bis zu 249 Beschäftigten müssen nicht sofort tätig werden, ihnen wird für die Einführung der internen Meldestelle eine Frist bis zum 17. Dezember 2023 gewährt. Unter bestimmten Voraussetzungen erstreckt der HinSchG-E die Pflicht zur (sofortigen) Einrichtung interner Meldestellen aber auch auf bestimmte Beschäftigungsgeber, für die das Unionsrecht eine Meldestelle unabhängig von der Zahl der Beschäftigten fordert.
Im Hinblick auf die Ausgestaltung der internen Meldewege versucht der HinSchG-E gemäß der Gesetzesbegründung, den Beschäftigungsgebern größtmögliche Freiräume bei der Erfüllung der an sie gestellten Anforderungen zu belassen:
Der interne Meldekanal kann – optional – so gestaltet werden, dass er – über den genannten Personenkreis der Beschäftigten und Leiharbeitnehmer:innen hinaus – auch natürlichen dritten Personen offen steht, die (wie beispielsweise Geschäftspartner) mit dem jeweiligen Beschäftigungsgeber oder mit der jeweiligen Organisationseinheit nur in beruflichem Kontakt stehen, und einen Verstoß beobachten.
Auch sieht der HinSchG-E die Möglichkeit der gemeinsamen Betreibung von Hinweisgeberstellen durch mehrere kleine private Beschäftigungsgeber, oder auch eine zentrale Meldestelle bei einer Konzerngesellschaft, wie der Konzernmutter, vor. Damit stellt sich der Entwurf gegen die Auslegung der EU-Kommission, die getrennte Meldekanäle für jedes einzelne Konzernunternehmen verlangt.
Als externe Meldestelle wird explizit eine Meldestelle des Bundes (beim Bundesamt für Justiz) als leicht zugängliche, zentrale Anlaufstelle eingerichtet. Die Möglichkeit der Meldung an diese soll hinweisgebende Personen davon befreien, sich mit Zuständigkeitsfragen auseinandersetzen zu müssen. Daneben sind unter anderem die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, das Bundeskartellamt sowie ggf. externe Meldestellen der Bundesländer vorgesehen.
Der Gang von hinweisgebenden Personen an die Öffentlichkeit, sog. „Offenlegung“, soll hinweisgebenden Personen in Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR indes nur ausnahmsweise, beispielsweise bei drohenden Gefahren oder Untätigkeit der externen Meldestelle, erlaubt sein.
Auch in Bezug auf Bereitstellung und Betrieb der Meldekanäle, die Aufgaben der Meldestellen, das Verfahren und die Dokumentation von Hinweisgebermeldungen sowie etwaige Folgemaßnahmen sieht der Gesetzesentwurf konkrete Anforderungen an private wie öffentliche Hinweisgeberstellen vor. Beispielsweise soll nach der Prüfung der Meldung auf Stichhaltigkeit der Kontakt mit der hinweisgebenden Person gehalten werden, bevor Folgemaßnahmen getroffen werden. Bei alledem haben die Meldestellen, soweit möglich, die Vertraulichkeit der Identität der hinweisgebenden Person sowie der von der Meldung betroffenen und genannten Personen zu wahren.
Eine Verpflichtung der internen sowie externen Meldestellen, anonyme Meldungen zu ermöglichen, besteht – jedenfalls in einem ersten Schritt und vorbehaltlich spezialgesetzlicher Regelungen – durch den HinSchG-E nicht.
Es können, so wie in der Praxis bereits zuvor durch Ombudspersonen, externe Dritte mit der Einrichtung und dem Betrieb der internen Meldestelle beauftragt werden. Insoweit können insbesondere externe Anwält:innen als Ombudspersonen beauftragt werden. Dabei ist zu beachten, dass für diese Dritte die gleichen Anforderungen wie für die Beschäftigungsgeber selbst gelten. Auch kann der Dritte nicht völlig losgelöst von dem Unternehmen oder der betroffenen Institution agieren, einer Kooperation zwischen beiden bedarf es insbesondere im Hinblick auf etwaige Folgemaßnahmen. Auch bei Übertragung des Meldesystems auf Dritte trifft den Beschäftigungsgeber weiterhin die Pflicht, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um Verstöße abzustellen.
Hinweisgebende Personen (sowie die sie vertraulich unterstützenden Personen) unterfallen (nur) dann dem Schutz des HinSchG-E, wenn sie ihren Hinweis gemäß den entsprechenden Vorgaben erstattet haben, sie zum Zeitpunkt der Meldung oder Offenlegung hinreichenden Grund zu der Annahme hatten, dass die betreffenden Informationen der Wahrheit entsprechen, und die Informationen Verstöße betreffen, die in den Anwendungsbereich des HinSchG-E fallen (beziehungsweise sie davon ausgehen durften). Zum Schutz der hinweisgebenden Personen verbietet der Gesetzesentwurf umfangreich sämtliche Repressalien sowie die Androhung und den Versuch derselben, wie beispielsweise Kündigungen oder sonstige Benachteiligungen, wie Versetzungen, Abmahnungen, Versagung von Beförderungen, Disziplinarmaßnahmen, geänderte Aufgabenübertragungen, Diskriminierungen oder Mobbing.
In diesem Zusammenhang sieht der HinSchG-E auch gegenseitige Schadensersatzpflichten vor: Bei einem Verstoß gegen das Verbot von Repressalien ist der Verursacher derselben der hinweisgebenden Person zu Schadensersatz verpflichtet. Auf der anderen Seite macht sich die hinweisgebende Person selbst schadensersatzpflichtig, wenn ein Schaden aus einer durch sie erfolgten vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen erfolgte.
Des Weiteren sieht der HinSchG-E Sanktionen für Verstöße gegen dessen wesentliche Vorgaben vor. Als Ordnungswidrigkeiten mit einer Geldbuße belegt werden das Ver- und Behindern von Meldungen oder Kommunikation mit dem Hinweisgeber, das Unterlassen der Einrichtung oder Betreibung einer internen Meldestelle, das Ergreifen von Repressalien sowie Verstöße gegen den Schutz der Vertraulichkeit der Identität hinweisgebender Personen. Auch die wissentliche Offenlegung falscher Informationen durch hinweisgebende Personen wird als Ordnungswidrigkeit geahndet und ist mit einem Bußgeld belegt. Sanktioniert werden können entsprechende Verstöße gegen Individualpersonen mit Geldbußen bis zu EUR 100.000; gegen das Unternehmen kommt eine (höhere) Verbandsgeldbuße in Betracht.
Konkreter Handlungsbedarf:
Die Politik steht aufgrund der verpassten Umsetzungsfrist der HinSch-RL und des bereits eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens unter Druck: Das Inkrafttreten das neu vorgelegten HinSchG-E ist – gegebenenfalls mit Anpassungen – vermutlich noch im Laufe dieses Jahres zu erwarten.
Dies bedeutet für alle privaten wie öffentlichen Beschäftigungsgeber kurzfristig konkreten Handlungsbedarf. Hinweisgebersysteme müssen etabliert oder überprüft werden und etwaig gemeldeten Missständen gemäß den gesetzlichen Vorgaben begegnet werden:
Beschäftigungsgeber, die derzeit noch kein Hinweisgebersystem haben, werden zu großen Teilen verpflichtet, ein solches sofort, je nach Anzahl der Beschäftigten spätestens bis Ende nächsten Jahres, einzuführen. Das BMJ geht davon aus, dass von dieser Pflicht zur Etablierung von Hinweisgebersystemen ca. 26% der größeren Unternehmen (mit mehr als 250 Beschäftigten) und ca. 56% der kleineren und mittleren Unternehmen betroffen seien. Doch auch für Beschäftigungsgeber, die bereits ein Hinweisgebersystem vorhalten, werden durch den HinSchG-E konkrete Maßnahmen gefordert: Diese müssen unmittelbar überprüfen, ob die konkreten (Verfahrens-) Voraussetzungen des HinSchG-E durch ihr bestehendes System erfüllt werden. Werden die dargestellten Anforderungen des Gesetzes nicht erfüllt, drohen bei Inkrafttreten des Gesetzes erhebliche Bußgelder, sowohl gegenüber natürlichen Personen als auch gegenüber Unternehmen.