28.04.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht April 2023

Referentenentwurf des BMAS zur Arbeitszeitaufzeichnung

Hintergrund

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 13. September 2022 (1 ABR 22/21) entschieden, dass der Arbeitgebende bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 3 Absatz 2 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) verpflichtet ist, ein System einzuführen und zu nutzen, mit dem die gesamte Arbeitszeit der Arbeitnehmenden aufgezeichnet wird (vgl. hierzu BAG: Arbeitgeber sind gesetzlich zur Einführung eines (elektronischen) Arbeitszeiterfassungssystems verpflichtet (Update) (heuking.de)). Hierbei bezieht sich das BAG auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019 (Rs. 55/18 CCOO), welches die Auslegung der Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) sowie der Richtlinie 89/391/EWG (Arbeitsschutz-Rahmenrichtlinie) betrifft (vgl. EuGH: Mitgliedstaaten müssen Arbeitgeber zur systematischen Arbeitszeiterfassung verpflichten (heuking.de).

Das „Ob“ der Arbeitszeitaufzeichnung steht seitdem außer Frage, nur hinsichtlich des „Wie“ bestehen Unsicherheiten, die vom Gesetzgeber zu lösen sind. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat nun am 18. April 2023 den überfälligen Referentenentwurf zur Neufassung des Arbeitszeitgesetzes (ArbZG-E) veröffentlicht. Nach der Verbändeanhörung und der Ressortabstimmung wird ein Gesetzentwurf der Bundesregierung erarbeitet. Es ist damit zu rechnen, dass zahlreiche Änderungswünsche an das BMAS herangetragen werden. Nach Art. 4 des Referentenentwurfs soll das Gesetz am ersten Tag des auf die Verkündung folgenden Quartals in Kraft treten (das wäre frühestens der 1. Juli 2023).

Mit diesem Beitrag geben wir einen Überblick über die wesentlichen Inhalte des Referentenentwurfs und unterziehen ihn einer ersten Bewertung.

Erfassung von Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit

Kern des Entwurfs ist der neue § 16 Abs. 2 ArbZG-E. Danach wird der Arbeitgebende verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der Arbeitnehmenden jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch aufzuzeichnen. Pausen werden im Referentenentwurf nicht erwähnt. Da sie aber tatsächlich gewährt (nicht nur pauschal abgezogen) werden müssen, ist eine Erfassung von Pausenzeiten sinnvoll und angezeigt.

Erfasst werden grundsätzlich alle Arbeitnehmenden mit folgenden Ausnahmen:

  • Leitende Angestellte im Sinne des § 5 Abs. 3 BetrVG sind nach § 18 Abs. 1 ArbZG vom Anwendungsbereich des Arbeitszeitgesetzes ausgenommen. Insoweit ist aber zweifelhaft und seit jeher umstritten, ob das europarechtlich zulässig ist. Die Arbeitszeitrichtlinie erlaubt „Abweichungen“ für leitende Angestellte, aber wohl keine „Aufhebung“ ihrer Regelungen. Zudem hat das BAG die Verpflichtung zur Arbeitszeitaufzeichnung auf das ArbSchG gestützt, das gerade keine Ausnahme für leitende Angestellte vorsieht.
  • Durch Tarifvertrag oder auf Grund eines Tarifvertrages durch Betriebsvereinbarung soll geregelt werden können, dass die Aufzeichnungspflicht für Arbeitnehmende entfällt, „bei denen die gesamte Arbeitszeit wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird oder von den Arbeitnehmern selbst festgelegt werden kann.“ Laut der Begründung können das Führungskräfte, herausgehobene Experten oder Wissenschaftler sein, die nicht verpflichtet sind, zu festgesetzten Zeiten am Arbeitsplatz anwesend zu sein, sondern über den Umfang und die Einteilung ihrer Arbeitszeit selbst entscheiden können. Tarifvertragsparteien sollen hier festlegen, für welche Arbeitnehmenden diese Voraussetzungen zutreffen. Das bedeutet: Wo kein Tarifvertrag, da auch keine Abweichung möglich.

Die Aufzeichnung kann durch den Arbeitnehmenden selbst oder einen Dritten, etwa den Vorgesetzten, erfolgen (§ 16 Abs. 3 ArbZG-E). Der Arbeitgebende bleibt jedoch auch bei Delegation der Aufzeichnungspflicht weiterhin für die ordnungsgemäße Umsetzung der Aufzeichnungspflicht arbeitsschutzrechtlich verantwortlich. Ignoriert etwa ein Beschäftigter die Weisung zur täglichen Arbeitszeitaufzeichnung, wäre das als Vertragsverletzung abmahnungsfähig.

Elektronische Form der Arbeitszeiterfassung

Der Referentenentwurf schreibt eine elektronische Zeiterfassung vor, ohne näher zu definieren, was das ist. In der Begründung werden Zeiterfassungsgeräte (Stechuhren) genannt, aber auch Apps auf Mobilgeräten und herkömmliche Tabellenkalkulationsprogramme. Gerade bei letzterem ist zweifelhaft, ob damit den Anforderungen des EuGH an ein „objektives, verlässliches und zugängliches System der Arbeitszeitaufzeichnung genüge getan wäre, schließlich ist jede Excel-Tabelle durch einfaches Überspeichern leicht manipulierbar.

Die Arbeitszeitaufzeichnung in nichtelektronischer Form soll nur noch zulässig sein

  1. während einer je nach Unternehmensgröße gestaffelten Übergangszeit von einem bis fünf Jahren (§ 16 Abs. 8 Satz 1 und 2 ArbZG-E);
  2. wenn der Arbeitgebende nicht mehr als 10 Arbeitnehmende beschäftigt (§ 16 Abs. 8 Satz 3 ArbZG-E); oder
  3. wenn dies durch Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages durch Betriebsvereinbarung zugelassen wird (§ 16 Abs. 7 Nr. 1 ArbZG-E).

Zeitpunkt der Arbeitszeitaufzeichnung

Die geleistete Arbeitszeit ist am Tag der Arbeitsleistung selbst aufzuzeichnen. Das ist konsequent, wenn man den von dem EuGH vorgegeben Zweck der Arbeitszeitaufzeichnung berücksichtigt, nämlich die Einhaltung der täglichen Mindestruhezeiten zu gewährleisten. Dann muss jeden Tag Beginn und Ende der Arbeitszeit erfasst werden, damit geprüft werden kann, ob die Arbeitsaufnahme am Folgetag überhaupt zulässig ist, oder ob ein Verstoß gegen die tägliche Mindestruhezeit vorliegt.

Durch Tarifvertrag soll hiervon abgewichen werden können und die Aufzeichnung bis spätestens zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages zulässig sein. Diese Ausnahme ist im Lichte der EuGH Rechtsprechung europarechtlich bedenklich.

Vertrauensarbeitszeit

Bei der Vertrauensarbeitszeit verzichtet der Arbeitgebende auf die Festlegung von Beginn und Ende der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Er „vertraut“ darauf, dass der Arbeitnehmende der vertraglichen Arbeitsverpflichtung nachkommt, ohne dieses zu überprüfen. Das ändert jedoch nichts daran, dass – schon heute - die Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Arbeitszeitschutzes einzuhalten sind. Arbeitszeitaufzeichnung und „Vertrauensarbeitszeit“ schließen sich also nicht aus. Vielmehr hat jeder Arbeitgebende auch bei Vertrauensarbeitszeit seinen Betrieb so zu organisieren, dass er die Einhaltung der geltenden Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gewährleisten kann (vgl. BAG, 06.05.2003, 1 ABR 13/02).

§ 16 Abs. 4 ArbZG-E sieht vor, dass der Arbeitgebende bei „Vertrauensarbeitszeit“ sicherstellen muss, dass ihm Verstöße gegen die Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes zu Dauer und Lage der Arbeits- und Ruhezeiten bekannt werden. Dies kann zum Beispiel durch die automatisierten Meldungen eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems erfolgen.

Anspruch auf Kopie

Das System der Arbeitszeitaufzeichnung muss nach der Rechtsprechung des EuGH für die Arbeitnehmenden zugänglich sein. Daher sieht § 16 Abs. 5 ArbZG-E vor, dass der Arbeitgebende die Arbeitnehmenden auf Verlangen in geeigneter Weise über die aufgezeichnete Arbeitszeit informieren muss. Auf Wunsch hat er einen Ausdruck der aufgezeichneten Arbeitszeit auszuhändigen oder eine elektronische Kopie zu übermitteln. Damit dürfte es Arbeitnehmenden künftig leichter fallen, die hohen Hürden der Rechtsprechung für die Darlegungs- und Beweislast in einem Prozess auf Vergütung vermeintlicher Überstunden zu nehmen.

Aufbewahrungspflicht

Die Arbeitszeitnachweise sind durch die Arbeitgebenden für mindestens zwei Jahre in deutscher Sprache im Inland aufzubewahren, um sie etwa für aufsichtsrechtliche Prüfungen, in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren oder auf Verlangen des Betriebsrates vorlegen zu können.

Ordnungswidrigkeit

Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht sind künftig bußgeldbewehrt (§ 22 Abs. 1 Nr. 9 und Nr. 10 ArbZG-E). Wer die Arbeitszeitaufzeichnungen nicht oder nicht richtig, nicht vollständig, nicht in der vorgeschriebenen Weise oder nicht rechtzeitig erstellt oder sie nicht für die vorgeschriebene Dauer bereithält oder sie nicht mindestens zwei Jahre aufbewahrt, handelt zukünftig ordnungswidrig. Auch Verstöße gegen die Informationspflichten des Arbeitgebenden gegenüber den Arbeitnehmenden über die aufgezeichnete Arbeitszeit sollen als Ordnungswidrigkeit geahndet werden können. Für Verstöße drohen Geldbußen bis zu EUR 30.000,00 Euro.

Zumindest droht bei vorsätzlicher Begehung oder beharrlich wiederholten Verstößen keine Straftat, denn § 23 ArbZG wurde nicht um die neu eingefügten Ordnungswidrigkeitentatbestände ergänzt.

Fazit

Summa summarum ist der Referentenentwurf eine Enttäuschung. Die drängenden Fragen der Praxis, wie mit der Arbeitszeit im Zuge der Globalisierung und der Digitalisierung in einer immer flexibleren Arbeitswelt umgegangen wird, bleiben offen. Ungeklärt ist insbesondere, was eigentlich Arbeitszeit ist – auch jeder noch so kurze Check der E-Mails nach Feierabend oder im Urlaub? Arbeitnehmende werden zu unmündigen Bürgern degradiert, die nicht weiterarbeiten dürfen, selbst wenn sie möchten. Das Arbeitszeitgesetz hat mit der betrieblichen Realität nicht mehr viel gemeinsam. Es besteht viel Diskussionsbedarf.

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