Update Arbeitsrecht November 2020
Umfang der Betriebsratsanhörung – fehlende Hinweispflicht des Arbeitgebers auf „tarifliche Unkündbarkeit“ bzw. hinsichtlich der Wahrung der Zwei-Wochen-Frist bei außerordentlicher Kündigung
BAG, Urteil vom 7. Mai 2020, 2 AZR 678/19
Arbeitgeber sind nicht verpflichtet, den Betriebsrat im Rahmen der Anhörung einer beabsichtigten außerordentlichen und fristlosen Kündigung über einen tariflichen (ordentlichen) Sonderkündigungsschutz oder über die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB zu unterrichten.
SACHVERHALT
Die Parteien streiten vorrangig über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung.
Der Arbeitnehmer war bei seinem Arbeitgeber seit 1982 als Konstruktionsingenieur beschäftigt. Sein Arbeitsvertrag nimmt Bezug auf die jeweils für den Betrieb geltenden Tarifverträge. Hiernach steht ihm ein tariflicher Sonderkündigungsschutz zu, wonach eine ordentliche Kündigung, nicht aber eine außerordentliche Kündigung ausgeschlossen ist.
Anfang März 2018 hörte der Arbeitgeber den Betriebsrat zur beabsichtigen außerordentlichen, fristlosen und hilfsweise ordentlichen Kündigung des Arbeitnehmers an. Dieser stimmte drei Tage später beiden Kündigungen zu, sodass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer hieraufhin außerordentlich, fristlos und hilfsweise ordentlich kündigte.
Aus Sicht des Arbeitnehmers hat weder die ordentliche noch außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis wirksam beendet, da es an einer ordnungsgemäßen Anhörung des Betriebsrats gefehlt habe. Der Betriebsrat sei im Rahmen der Anhörung vom Arbeitgeber nicht darüber informiert worden, dass er aufgrund des tariflichen Sonderkündigungsschutzes ordentlich „unkündbar“ sei. Darüber hinaus sei auch die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB vom Arbeitgeber nicht eingehalten worden.
Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht waren der Auffassung, dass die Kündigungen des Arbeitgebers mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam waren und gaben der Klage daher jeweils statt.
ENTSCHEIDUNG
Die Revision des Arbeitgebers hatte Erfolg. Nach der Ansicht des BAG sei die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG – entgegen der Auffassung der Vorinstanzen –ordnungsgemäß erfolgt.
Insbesondere sei die Unterrichtung des Betriebsrats über einen bestehenden Sonderkündigungsschutz nicht erforderlich gewesen, da es dem Arbeitgeber vorrangig auf die außerordentliche Kündigung, welche von dem Sonderkündigungsschutz nicht umfasst gewesen sei, angekommen sei. Die Anhörung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG soll diesem lediglich die Möglichkeit einräumen, die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe zu beurteilen, um ggf. zugunsten des Arbeitnehmers auf den Arbeitgeber einzuwirken. Die Kenntnis über einen Sonderkündigungsschutz sei hierfür nicht erforderlich. Der Betriebsrat könne der Absicht einer außerordentlichen fristlosen Kündigung in beiden Fällen (ordentliche Kündbarkeit und ordentliche Unkündbarkeit) gleichermaßen entgegensetzen, dem Arbeitgeber sei es zuzumuten, die ordentliche Kündigungsfrist (im Falle der außerordentlichen Kündigung als „soziale Auslauffrist“) einzuhalten. Es spiele insofern keine Rolle, ob die Kündigungsfrist „real“ oder „fiktiv“ sei.
Auch Ausführungen zur Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB seien im Rahmen der Anhörung nicht erforderlich. Diese seien nicht von den „Gründen für die Kündigung“ nach § 102 Abs. 1 S. 2 BetrVG umfasst.
Der Arbeitgeber sei lediglich verpflichtet, dem Betriebsrat zu offenbaren, wann der Kündigungssachverhalt sich zugetragen habe, damit diesem ermöglicht werde, sich eine Meinung hinsichtlich der Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe bilden zu können. Sofern der Arbeitgeber darüber hinaus (freiwillige) Angaben, die für die Einhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB von Bedeutung seien, mache, müssen diese zudem der Wahrheit entsprechen
Im Übrigen sei der Arbeitgeber jedoch nicht verpflichtet, dem Betriebsrat die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB darzulegen. Ansonsten würden die Zwecke des Anhörungsverfahrens auch überdehnt werden. Dem Betriebsrat stehe die Überprüfung der objektiven Wirksamkeit einer beabsichtigten Kündigung nicht zu.
PRAXISHINWEIS
Zugunsten der Arbeitgeber hat das BAG nunmehr klargestellt, dass der Betriebsrat im Rahmen der Anhörung nach § 102 Abs. 1 S. 1 BetrVG von diesem nicht in die Lage versetzt werden muss, die rechtliche Wirksamkeit der Kündigung objektiv überprüfen zu können. Arbeitgeber sind danach im Falle einer außerordentlichen Kündigung weder zur Angabe einer etwaigen ordentlichen „Unkündbarkeit“ noch zur Darlegung der Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB verpflichtet.
Die Entscheidung schafft für Arbeitgeber damit ein wenig mehr Klarheit über den Umfang der sie treffenden Mitteilungspflicht im Falle einer beabsichtigten (außerordentlichen) Kündigung.
Arbeitgeber müssen zwar weiterhin zeitliche Sachverhaltsangaben zur Kündigung machen, damit sich der Betriebsrat ein ausreichendes Bild über den Kündigungssachverhalt machen kann, die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist nach § 626 Abs. 2 BGB müssen Arbeitgeber jedoch nicht im Einzelnen darlegen.