29.08.2023Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht August 2023

Unzulässige Befristung mit Sachgrund bei andauernder Arbeitsunfähigkeit des befristet Beschäftigten

 LAG Niedersachen 11.05.2023 - 5 Sa 27/23

I. Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer mit Sachgrund erfolgten Befristung des Arbeitsverhältnisses.

Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit dem 19.10.2020 als Paketzusteller. Dieser Beschäftigung liegt der Arbeitsvertrag vom 19.10.2020 zu Grunde, der eine Befristung bis zum 14.11.2020 enthielt und sodann zunächst von den Parteien dreimal aufgrund weiterer befristeter Verträge bis zum 30.04.2022 verlängert worden war.

Der Kläger war seit dem 23.04.2022 über den Mai 2022 hinaus arbeitsunfähig erkrankt. Am 23.04.2022 kontaktierte er seinen Niederlassungsleiter. Er teilte mit, dass er mit einem Paket gestürzt sei, sein Bauch immer dicker geworden sei, er ins Krankenhaus gebracht und ihm schwindlig gewesen sei. Ferner teilte er mit, einen Nabelbruch zu haben und die Auskunft erhalten zu haben, dass er vielleicht noch heute operiert werde.

Die Arbeitsunfähigkeit des Klägers wurde durch mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen dokumentiert. Die Erstbescheinigung vom 25.04.2022 wies den Arbeitsunfähigkeitszeitraum vom 23.04.2022 bis zum 08.05.2022 aus, unter dem üblichen Hinweis „voraussichtlich arbeitsunfähig“. Der stellvertretende Niederlassungsleiter ließ sodann dem Kläger den von der Beklagten unterschriebenen streitgegenständlichen Vertrag über die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses zukommen, der ihn unterzeichnet entgegengenommen hat.

Der streitgegenständlich befristete Vertrag vom 27.04.2022 sah die Tätigkeit des Klägers als Paketzusteller vom 01.05.2022 bis 28.05.2022 (befristet) vor, in welchem als Sachgrund „Vertretung wegen vorübergehender Abwesenheit des Mitarbeiters S., L., M. und H.“ genannt ist. Der Kläger sollte Frau S., Frau L., Herrn M. und Herrn H., die bei der Beklagten als Zusteller mit 38,5 / Woche beschäftigt sind, während deren Urlaubs vertreten.

Mit seiner fristgerecht auf Entfristung seines Arbeitsverhältnisses gerichteten Klage hat der Kläger geltend gemacht, es habe von vornerein festgestanden, dass er die genannten Mitarbeiter nicht habe vertreten können.

Das Arbeitsgericht Oldenburg hat die Klage abgewiesen. Dagegen wehrte der Kläger sich mit der beim LAG Niedersachsen eingereichten Berufung.

II. Entscheidung

Die Berufung war erfolgreich. Nach Auffassung des Berufungsgerichts sei das Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung des streitgegenständlichen Vertrags zum 28.5.2022 beendet worden. Der Sachgrund der Vertretung für die Befristung (§ 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG) liege nicht vor. Mit der erfolgten Information des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber habe der Arbeitgeber sicheres Wissen von einer mehrwöchigen Dauererkrankung des Arbeitnehmers gehabt. Jede andere Interpretation sei lebensfremd. Der Grund für die Befristung liege im Vertretungsfall darin, dass der Arbeitgeber bereits zu einem vorübergehend ausgefallenen Mitarbeiter in einem Rechtsverhältnis steht und mit der Rückkehr dieses Mitarbeiters rechne. Damit bestehe für die Wahrnehmung der an sich dem ausgefallenen Mitarbeiter obliegenden Arbeitsgaben durch eine Vertretungskraft von vornherein nur ein zeitlich begrenztes Bedürfnis. Teil des Sachgrundes sei daher eine Prognose des Arbeitgebers über den voraussichtlichen Wegfall des Vertretungsbedarfs nach Rückkehr des zu vertretenden Mitarbeiters. Des Weiteren bedürfe es eines Kausalzusammenhangs zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenden und der Einstellung des Vertreters. Erforderlich sei eine Kausalkette. Notwendig aber auch ausreichend sei, dass zwischen dem zeitweiligen Ausfall von Stammarbeitskräften und der befristeten Einstellung von Aushilfsarbeitnehmern ein ursächlicher Zusammenhang bestehe. Es müsse sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs eingestellt worden sei. Vorliegend fehle es an dieser Kausalität. Wisse bei Vertragsabschluss der Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer während der gesamten Dauer des befristeten Arbeitsverhältnisses nicht arbeiten könne, dann sei der Abschluss eines befristeten Arbeitsvertrages völlig sinnlos, weil der Zweck, den der Sachgrund der Vertretung verfolgt, nämlich die Aufgabenwahrnehmung des vertretenen Arbeitnehmers durch den befristetet eingestellten Vertreter, nicht einmal ansatzweise erfüllt werden könne.

III. Hinweise für die Praxis

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Entscheidend für eine wirksame Befristung gem. § 14 Abs. 1 Nr. 3 TzBfG ist gerade auch der bestehende Kausalzusammenhang zwischen dem zeitweiligen Ausfall des Vertretenden und der Einstellung des Vertreters voraus. Es muss sichergestellt sein, dass die Vertretungskraft gerade wegen des durch den zeitweiligen Ausfall des zu vertretenden Mitarbeiters entstandenen vorübergehenden Beschäftigungsbedarfs eingestellt worden ist. Wenn jedoch der zur Vertretung eingestellte Arbeitnehmer selbst sicher während des gesamten Vertretungszeitraums fehlt, kann nicht vom Vorliegen der erforderlichen Kausalkette im Fall einer Befristung aus dem Sachgrund der Vertretung ausgegangen werden. Es liegt dann kein Vertretungsfall vor.

Möchte ein Arbeitgeber ein Arbeitsverhältnis mit Sachgrund befristen, sollte er immer einzelfallbezogen juristisch prüfen lassen, ob dies vor dem Hintergrund der hohen Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung an das Vorliegen eines Sachgrundes rechtlich wirksam möglich ist und ob insbesondere die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Sachgrundes erfüllt sind.

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