29.07.2024Fachbeitrag

Update Arbeitsrecht Juli 2024

Variable Vergütung – Schadensersatz auch bei unterbliebener oder verspäteter Zielvorgabe?

LAG Nürnberg, Urteil vom 24.04.2024, 2 Sa 293/23

Erfolgt eine arbeitsvertraglich vereinbarte Zielvorgabe nicht oder zu einem deutlich verspäteten Zeitpunkt, kann der Arbeitnehmer die entgangene variable Vergütung ggf. unter Schadensersatzgesichtspunkten einfordern.  

SACHVERHALT

Im vorliegenden Fall streiten die Parteien um Schadensersatz wegen entgangener Bonuszahlungen. Die Arbeitnehmerin, welche beim Arbeitgeber als Account Managerin im Bereich Sales tätig war, erhielt zuletzt ein jährliches Fixgehalt von EUR 66.634,60 brutto. Arbeitsvertraglich partizipierte sie auch an einem globalen Bonussystem, welches wiederum persönliche Ziele und Unternehmensziele in den Blick nahm. Bei Erreichen der persönlichen Ziele stand ihr hiernach ein Bonus in Höhe von 10 % des Brutto-Jahresgehalts zu; bei Erreichen der Unternehmensziele ein weiterer Bonus in Höhe von 16 % des Brutto-Jahresgehalts.

Die Details hinsichtlich der mittels einer Vereinbarung verabredeten persönlichen Ziele spielen an dieser Stelle keine Rolle.

Für das Geschäftsjahr 2021 wurden die Unternehmensziele vom Arbeitgeber erst Ende Oktober 2021 gegenüber den Arbeitnehmern bekannt gegeben.  

Erreicht wurden die vorgegebenen Ziele letztlich nur zu 20 %, was der Arbeitgeber u. a. mit einer Schließung eines Werks im Juni 2020 und dem Abschluss eines Sanierungstarifvertrages im Juli 2020 begründete. Die Arbeitnehmerin klagte daraufhin auf Zahlung eines Bonus in Höhe von 10.661,80 EUR, was einer Zielerreichung von 100 % bezogen auf die Unternehmensziele entsprach. Das Arbeitsgericht Würzburg gab der Klage statt, da der Arbeitgeber seine Pflichten verletzt habe, indem er keine rechtzeitige Zielvereinbarung für das Geschäftsjahr 2021 abgeschlossen habe. Der Arbeitgeber legte gegen dieses Urteil Berufung ein.

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

Das Landesarbeitsgericht Nürnberg bestätigte im Ergebnis die Entscheidung des Arbeitsgerichts. Durch die verspätete Zielvorgabe habe der Arbeitgeber seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt und schulde daher Schadensersatz. Dabei qualifizierte das Landesarbeitsgericht die entsprechende Regelung hinsichtlich der Unternehmensziele als Zielvorgabe. Das Arbeitsgericht Würzburg war noch von einer Zielvereinbarung ausgegangen.

Nach der Auffassung des Landesarbeitsgerichts Nürnberg, ergebe sich der Anspruch bezüglich des – aus Sicht der Klägerin bezogen auf die Unternehmensziele – „ausstehenden“ Betrags (das Delta zwischen dem wegen der Zielerreichung von 20 % geschuldeten Betrag und den vertraglich möglichen 100 %, hier ein Betrag von EUR 8.529,44 EUR brutto) unter Schadensersatzgesichtspunkten (EUR 2.132,36 brutto waren deshalb zu zahlen, da die Beklagte auch den unstreitig zustehenden Betrag nicht ausgezahlt hatte).

Denn die derart verspätete Zielvorgabe mache eine rechtzeitige Zielerreichung unmöglich und insoweit sei die ständig BAG-Rechtsprechung zu unterbliebenen Zielvereinbarungen (BAG 12.12.2007, 10 AZR 97/07) übertragbar (§§ 280 Abs. 1, 3, 283, 275, 252 BGB). Eine verspätete Zielvorgabe nach drei Vierteln des Geschäftsjahrs wirke demnach so, als sei eine solche nie erfolgt. Ein Mitverschulden der Arbeitnehmerin sei ausgeschlossen, da Zielvorgaben nicht zur Disposition der Mitarbeiter stünden. Eine von anderen Landesarbeitsgerichten in vergleichbaren Konstellationen vorgenommene Lösung über § 315 Abs. 3 BGB (Leistungsbestimmung durch Urteil) lehnte das Landesarbeitsgericht ab. Das Landesarbeitsgericht betonte insoweit insbesondere, dass der Zweck eines Bonussystems – Mitarbeitermotivation und Zielanreiz – nur erfüllt werde, wenn der Arbeitnehmer die Ziele rechtzeitig kennt. Dies gelte nicht nur für Ziele, auf die der Einzelne einen ggf. unmittelbaren Einfluss hat. Auch vorgegebene Unternehmensziele seien förderlich für die Identifikation mit dem Unternehmen und den Teamgedanken, was das Bundesarbeitsgericht ebenfalls anerkennte (BAG 17.12.2020, 8 AZR 149/20).  

Der Bonus gelte ferner als entgangener Verdienst nach § 252 S. 2 BGB. Eine hypothetische 100%ige Zielerreichung sei im konkreten Fall anzunehmen, da keine besonderen Umstände dagegensprechen würden und der Arbeitgeber solche zudem darlegen und beweisen müsse. Die Tatsache, dass tatsächlich nur 20 % der verspätet gesetzten Unternehmensziele erreicht worden sind, reichte nach der Auffassung des Landesarbeitsgericht nicht, um im Rahmen der Schadensschätzung einen gewissen Abzug von dem Maximalbetrag vorzunehmen.

Gegen das Urteil hat der Arbeitgeber Revision eingelegt.

PRAXISTIPP

Streit um die Auswirkungen von nicht oder zu spät abgeschlossenen Zielvereinbarungen und/oder fehlenden bzw. zu späten Zielvorgaben bleibt ein Klassiker der Beratung und der arbeitsgerichtlichen Praxis.

Auch wenn die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts sich bemüht, die Erwägungen des BAG hinsichtlich von unterbliebenen Zielvereinbarungen für das gefundene Ergebnis nutzbar zu machen, bleiben doch deutliche Zweifel an der Übertragbarkeit. Je nach Hierarchieebene ist der unmittelbare Einfluss auf ggf. globale Unternehmensziele realistischerweise nicht dergestalt, wie dies die Kammer angenommen hat. Insoweit bleibt abzuwarten, wie das BAG die Sache im Rahmen der zugelassenen Revision bewertet.

Spannend ist auch, ab wann eine derart verspätete Zielvorgabe angenommen werden kann. Hier lassen sich je nach Blickwinkel sicher unterschiedliche Auffassungen vertreten. Sicher dürfte indes aus Sicht der Verfasserin sein, dass nicht jede geringfügige Verspätung die vom Landesarbeitsgericht angenommenen Rechtsfolgen rechtfertigen kann.

Arbeitgeber sind jedenfalls gut beraten, die Prozesse hinsichtlich ihrer variablen Vergütungssysteme immer wieder auf den Prüfstand zu stellen. Im Falle von verspäteten Vereinbarungen und/oder Vorgaben bedarf es einer besonders gründlichen Dokumentation hinsichtlich der Ursachen, damit ggf. auch bessere Anknüpfungspunkte für eine hypothetische niedrigere Schadensschätzung vorgetragen werden können.  

 

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