12.06.2015Fachbeitrag

Newsletter Arbeitsrecht Juni 2015

Vertrauensschutz durch das BAG als Verstoß gegen das Grundgesetz

BVerfG, Urteil vom 10.12.2014 – 2 BvR 1549/07

Wenn die deutschen Gerichte für Arbeitssachen einen Arbeitgeber in seinem Vertrauen in ihre bisherige Rechtsprechung schützen wollen, nachdem eine Entscheidung des EuGH sie zu einer Änderung ihrer bisherigen Rechtsprechung zwingt, müssen sie den EuGH vorab klären lassen, ob diese Vertrauensschutzgewährung ihrerseits unionsrechtskonform ist.

Das Bundesarbeitsgericht hatte seit 1973 in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten, unter der „Entlassung“ i.S.d. §§ 17, 18 KSchG sei nicht die Kündigungserklärung, sondern die mit ihr beabsichtigte tatsächliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu verstehen. Die Anzeige einer Massenentlassung müsse daher nicht vor dem Ausspruch der Kündigung erfolgen.

Entscheidung des EuGH

Mit Urteil vom 27. Januar 2005 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH), dass diese Rechtsprechung nicht kompatibel sei mit Art. 1 bis Art. 4 der Massenentlassungsrichtlinie der Europäischen Union. Der Begriff „Entlassung“ müsse europarechtlich so ausgelegt werden, dass darunter nicht die tatsächliche Entlassung, sondern vielmehr bereits die Kündigungserklärung zu verstehen ist.


Kehrtwende und Vertrauensschutz

Die Rechtsprechung der Gerichte für Arbeitssachen schloss sich dieser Entscheidung an und vollzog in diesem Sinne eine Kehrtwende. Um Unbilligkeiten zu vermeiden, die sich daraus ergaben, dass die Arbeitgeber bei dem Ausspruch von Kündigungen vor dem 27. Januar 2005 in die Rechtsprechung der deutschen Gerichte für Arbeitssachen vertraut hatten, räumte das Bundesarbeitsgericht einem solchen Arbeitgeber Vertrauensschutz ein; dieser hatte die Kündigung, die den Gegenstand des Rechtsstreits bildete, vor dem 27. Januar 2005 erklärt. Die unionsrechtliche Vorgabe komme auf „Altfälle“ aus der Zeit vor der Entscheidung des Gerichtshofs der europäischen Union vom 27. Januar 2005 nicht zur Anwendung. Dies – so das Bundesarbeitsgericht – sei ein rechtsstaatliches Gebot.


Zuständigkeitsproblematik

Die entsprechende Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 1. Februar 2007 – 2 AZR 15/06 – griff der in jenem Verfahren unterlegene Arbeitnehmer mit der Verfassungsbeschwerde an und berief sich dabei auf sein Justizgrundrecht aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Über die Frage des zeitlichen Anwendungsbereichs des Rechts der Europäischen Union habe allein dieser zu entscheiden. Die Rechtsprechungskompetenz des Bundesarbeitsgerichts sei in dieser Frage nicht eröffnet. Dadurch sei sein Fall dem gesetzlichen Richter entzogen worden.


Entscheidung des BVerfG

Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Argumentation angeschlossen, die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aufgehoben und die Sache zur Entscheidung an das Bundesarbeitsgericht zurückverwiesen. Es wird nun Aufgabe des Bundesarbeitsgerichts sein, dem EuGH vor seiner eigenen Entscheidung vorab die Frage vorzulegen und durch den EuGH beantworten zu lassen, ob es mit Unionsrecht vereinbar ist, wenn nationale Gerichte das Vertrauen in ihre nicht unionsrechtskonforme bisherige Rechtsprechung schützen wollen.

Fazit

Es ist unverändert ungeklärt, ob ein Normadressat in seinem Vertrauen in eine fehlerhafte Auslegung der §§ 17, 18 KSchG durch die deutschen Gerichte für Arbeitssachen, die gegen Unionsrecht verstößt, geschützt werden darf oder muss. Die entsprechende Klärung durch den EuGH steht noch aus.

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