13.01.2016Fachbeitrag

zuerst erschienen im Behörden Spiegel am 13. Januar 2016

Zugelassen und gleichzeitig verboten

EuGH zu Mindestlohn bei öffentlichen Aufträgen

Wie kann das sein? Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 17. November 2015 den Mindestlohn für öffentliche Aufträge in Rheinland-Pfalz für rechtmäßig erachtet. Zugleich sind Mindestlöhne der Bundesländer derzeit nach diesem Urteil unzulässig.

Im Jahr 2013 hatte die Stadt Landau in der Pfalz Postdienstleistungen europaweit ausgeschrieben. Der Auftraggeber forderte von den Bietern, sich im Rahmen der Ausschreibung zu verpflichten, ihren Arbeitnehmern gemäß den Regeln des Landestariftreugesetzes (LTTG) einen Mindestlohn von 8,70 Euro pro Stunde zu zahlen. Ein Bieter, der vom Verfahren ausgeschlossen war, weil er die geforderte Erklärung nicht vorlegte, rügte die Verpflichtung im Nachprüfungsverfahren. Das OLG Koblenz bezweifelte, dass die Mindestlohnvorgabe des LTTG mit EU-Recht, insbesondere mit der Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 Abs. 1 AEUV vereinbar sei. Das OLG setzte das Verfahren aus und legte die Frage dem EuGH vor.

Nicht gegen Dienstleistungsfreiheit verstoßen

Der EuGH entschied, dass die Mindestlohnregelung des LTTG keinen Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit darstellt. Zwar sei die Regelung grundsätzlich geeignet, die Dienstleistungsfreiheit zu beschränken. Die Beschränkung sei aber durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt. Die Regelung stelle eine zulässige "soziale Aspekte" betreffende Bedingung an die Auftragsausführung dar. Da der Mindestlohn im konkreten Fall direkt im Gesetz geregelt sei, entspreche die Regelung den Vorgaben der Arbeitnehmerentsenderichtlinie.

Unerwartete Entscheidung

Entscheidend war aber, dass es zum Zeitpunkt der Ausschreibung weder einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn noch einen allgemein verbindlichen Tarifvertrag für die Postdienstleistungsbranche gab. Daraus schloss der Gerichtshof, dass der Mindestlohn ein  Mindestmaß an sozialem Schutz für Arbeitnehmer gewährleistete, der den Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit rechtfertige.

Die Entscheidung war so nicht erwartet worden. In den vorangegangenen Entscheidungen "Rüffert" (Rs. C-346/06) und "Bundesdruckerei" (Rs. C-549/13) hatte der EuGH dagegen Mindestlohnvorgaben für europarechtswidrig erklärt. Im Unterschied zum hier entschiedenen Fall war der Mindestlohn in der Rechtssache "Rüffert" allerdings nicht im Gesetz, sondern in einem nur für die Baubranche geltenden Tarifvertrag geregelt, der sich nicht auf private Aufträge erstreckte und nicht für allgemein verbindlich erklärt worden war. Die Vorgabe des LTTG gelte dagegen allgemein und branchenunabhängig für die Vergabe aller öffentlichen Aufträge im Land Rheinland Pfalz.

Im Urteil "Bundesdruckerei" erachtete der EuGH den vergabespezifischen Mindestlohn des TVgG NRW für unzulässig, sofern Nachunternehmer im EUAusland verpflichtet wurden, ihren Mitarbeitern einen höheren deutschen Mindestlohn zu zahlen. Die Mitarbeiter seien durch die niedrigeren Mindestlöhne ihrer Mitgliedsstaaten in der Regel ausreichend abgesichert.

Europäische Rechtsprechung fortgesetzt

Der EuGH folgte jedoch den Anträgen des Generalanwalts und setzt damit im Ergebnis seine bisherige Rechtsprechung konsequent fort. Denn auch in den Fällen "Rüffert" und "Bundesdruckerei" war es für den EuGH entscheidend, dass durch andere Regelungen bereits ein gewisser Schutzstandard gewährleistet war. In der Sache "Rüffert" verwies der EuGH darauf, dass der in dem einschlägigen Tarifvertrag festgelegte  Mindestlohn den für die Branche geltenden Mindestlohnsatz nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz überschritt. Im Urteil "Bundesdruckerei" war wesentlich, dass die Mitarbeiter durch die Regeln in ihrem Heimatstaat ausreichend abgesichert sind.

Der deutsche Gesetzgeber hat im Mindestlohngesetz nun einen einheitlichen bundesweiten Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde festgelegt. Landesregelungen, die einen höheren Mindestlohn festlegen, sind nach der Rechtsprechung des EuGH daher derzeit europarechtswidrig. Ihnen fehlt die Rechtfertigung, da der nationale Gesetzgeber einen Mindestschutz für Arbeitnehmer gewährleistet. Weiterhin zulässig sind dagegen höhere Lohnvorgaben durch allgemeinverbindliche Tarifverträge. Höhere Lohnsätze in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen haben auch nach dem MiLoG Vorrang vor dem gesetzlichen Mindestlohn.

Bedeutsam ist die Entscheidung aber vor allem, weil sie sich auch auf andere Vorgaben der Ländervergabegesetze, z. B. die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen, Umweltanforderungen und Frauenförderung übertragen ließe. Wollte der Gesetzgeber auf Bundesebene niedrigere Standards setzen, ist nicht ausgeschlossen, dass die Länderregelungen ebenfalls europarechtswidrig wären.

Dr. Ute Jasper ist Partnerin, Rebecca Dreps Rechtsanwältin der Sozietät Heuking Kühn Lüer Wojtek.

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