23.05.2018Fachbeitrag

Update Restrukturierung 2/2018

Organhaftung in der Eigenverwaltung

BGH: Eigenverwalter haften analog §§ 60, 61 InsO

Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat mit Urteil vom 26.04.2018 (IX ZR 238/17) entschieden, dass die Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung über das Vermögen einer Gesellschaft den Beteiligten analog §§ 60, 61 InsO haften.

Eigenverwaltung seit 2012 im Fokus

Die Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO ist seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung (InsO) am 01.01.1999 im deutschen Insolvenzrecht als spezielle Ausgestaltung des Insolvenzverfahrens verankert. Diese ermöglicht es dem Insolvenzschuldner im Insolvenzverfahren, sich unter gewissen Voraussetzungen ohne Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis an einen Insolvenzverwalter unter Beachtung der Interessen und Rechte der Gläubigergesamtheit selbst zu verwalten und zu restrukturieren. Durch das Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) im Jahre 2012 ist die Eigenverwaltung verstärkt in den Fokus von Unternehmen und Restrukturierern geraten. Große Unternehmensinsolvenzen werden mittlerweile zunehmend im Rahmen der Eigenverwaltung durchgeführt.

Bisher: Haftung der Eigenverwalter gegenüber Beteiligten ungeklärt

Ungeklärt war bislang, ob und unter welchen Voraussetzungen die bestellten oder faktischen Organe einer Gesellschaft in Eigenverwaltung (sog. „Eigenverwalter“) über die gesellschaftsrechtliche Haftung gegenüber der Gesellschaft selbst (z.B. § 43 Abs. 2 GmbHG, § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG) hinaus auch den Beteiligten des Eigenverwaltungsverfahrens, insbesondere der Gläubigergesamtheit, haften. So stellte sich insbesondere die Frage, ob Gläubiger bei der Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten durch den „Eigenverwalter“ (z.B. Missachtung von Ab- und Aussonderungsrechten, Eingehung ungedeckter Masseverbindlichkeiten oder Umsetzung ungünstiger Verwertungsmaßnahmen) auch diesen persönlich in die Haftung nehmen können.

BGH: Haftung der Organe einer Gesellschaft ergibst sich aus analoger Anwendung der §§ 60, 61 InsO – planwidrige Regelunglücke

Der BGH hat nun entschieden, dass auch die eigenverwaltenden Geschäftsleiter der insolventen Gesellschaft allen Beteiligten des Eigenverwaltungsverfahrens für die schuldhafte Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten oder die Eingehung ungedeckter Masseverbindlichkeiten analog §§ 60, 61 InsO haften. Diese Vorschriften seien zwar direkt nur auf den (Regel-)Insolvenzverwalter und partiell durch Verweisung auf den Sachwalter anwendbar. Die Insolvenzordnung enthalte insoweit aber eine planwidrige Regelungslücke. Der Gesetzgeber habe sich erkennbar zunächst vornehmlich mit der Eigenverwaltung natürlicher Personen befasst. Erst im Rahmen des ESUG habe er sich punktuell der Abgrenzung zwischen der eigenverwaltenden Gesellschaft und ihren die Eigenverwaltung durchführenden Vertretungsorganen gewidmet. Die Haftungsfrage in der Eigenverwaltung habe der Gesetzgeber nicht näher behandelt.

Geschäftsleiter übernehmen Aufgaben des Insolvenzverwalters – Binnenhaftung insoweit nicht ausreichend

Faktisch nähmen die Geschäftsleiter einer Gesellschaft im Rahmen der Eigenverwaltung die Befugnisse wahr, die im Regelverfahren originär dem Insolvenzverwalter obliegen. Würde sich die Anwendung der §§ 60, 61 InsO auf die schuldnerische Gesellschaft beschränken, wäre den Beteiligten haftungsrechtlich wenig geholfen. Nach Ansicht des BGH sei deshalb ein besonderes Haftungsbedürfnis für etwaige Pflichtverletzungen anzuerkennen. Die reine Binnenhaftung aus § 43 Abs. 2 GmbHG oder § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG reiche nicht aus, die berechtigten Interessen der Beteiligten wirksam zu schützen.

Praktische Auswirkungen

Die Entscheidung des BGH beendet einen längeren Streit um die Frage des Haftungsregimes für Geschäftsleiter in der Eigenverwaltung. Hierdurch wird künftig die Haftung der Eigenverwalter (sei es die ursprüngliche Geschäftsleitung oder der als Organ neu hinzukommende CRO, CIO oder Generalhandlungsbevollmächtigte) noch einmal besonders in den Blick der Sachwalter, Gerichte und vor allem der Gläubiger rücken. Soweit der Eigenverwalter nicht ohnehin umfangreiche Erfahrungen als Insolvenzverwalter hat, wird eine enge Beratung der eigenverwaltenden Organe durch geeignete Insolvenzrechtsexperten wichtiger denn je.

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