Update Energie 011
BGH: Umlagemechanismus gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV nichtig
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Beschluss vom 12.04.2016 (EnVR 25/13 – Netzentgeltbefreiung II) in Fortführung seiner Rechtsprechung zur Netzentgeltbefreiung von Letztverbrauchern vom 06.10.2015 (EnVR 32/13 – Netzentgeltbefreiung) entschieden, dass der in § 19 Abs. 2 Stromnetzentgeltverordnung („StromNEV“) verankerte Umlagemechanismus nichtig ist.
Der mit der StromNEV in der Fassung vom 04.08.2011 („StromNEV 2011“) eingeführte Umlagemechanismus (in der StromNEV 2011 war der Umlagemechanismus in § 19 Abs. 2 S. 6, 7 geregelt, in der ab dem 22.08.2013 geltenden Fassung („StromNEV 2013“) findet sich dieser in § 19 Abs. 2 S. 12 – 15. In der seit 01.01.2014 geltenden Fassung ist er in § 19 Abs. 2 S. 13 – 16 geregelt.) eröffnet den Netzbetreibern die Möglichkeit, durch einen bundesweiten Ausgleichsmechanismus ihre Einnahmeverluste aus der Reduzierung und Befreiung von Netzentgelten für Letztverbraucher nach § 19 Abs. 2 S. 1 und 2 StromNEV auszugleichen. Die nähere Ausgestaltung des Umlagemechanismus (auch zwischen den Netzbetreibern) hat die Bundesnetzagentur durch Festlegung vom 14.12.2011 (BK-8-11-024) geregelt. Das Umlageverfahren wurde im zeitlichen Zusammenhang mit der in § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV 2011 geschaffenen Möglichkeit der vollständigen Netzentgeltbefreiung von Letztverbrauchern eingeführt und findet seit dem 01.01.2012 Anwendung.
BGH Beschluss zur Netzentgeltbefreiung nach § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV 2011
Bereits mit Beschluss vom 06.10.2015 entschied der BGH, dass die Netzentgeltbefreiung von Letztverbrauchern gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV 2011 nichtig ist. Der BGH stützte seine Entscheidung im Wesentlichen auf das Fehlen einer für den Erlass des § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV 2011 erforderlichen Ermächtigungsgrundlage. Insbesondere sei die komplette Netzentgeltbefreiung nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3 EnWG umfasst. Diese Norm ermächtige den Verordnungsgeber nicht zur vollständigen Befreiung bestimmter Nutzer von Netzentgelten, sondern nur zu Regelungen zur näheren Ausgestaltung solcher Entgelte. Dem hatte der Gesetzgeber kurzfristig durch eine Anpassung der Regelung Rechnung getragen.
BGH Beschluss zum Umlagemechanismus nach § 19 Abs. 2 StromNEV – nichtig und keine Ermächtigungsgrundlage Mit seinem Beschluss vom 12.04.2016 hebt der BGH nunmehr die Festlegung der Bundesnetzagentur zur Ausgestaltung des Umlagemechanismus vom 14.12.2011 (BK-8-11-024) mit Wirkung für alle Netzbetreiber auf.
Der BGH nimmt zur Begründung Bezug auf seine Entscheidung zur Nichtigkeit des § 19 Abs. 2 S. 2 StromNEV 2011 und folgert hieraus auch die Nichtigkeit des Umlagemechanismus gemäß § 19 Abs. 2 S. 6, 7 StromNEV 2011. Aber auch der Umlagemechanismus gemäß § 19 Abs. 2 S. 12 – 15 StromNEV 2013 (S. 13 – 16 in der seit 01.01.2014 geltenden Fassung) ist gemäß den Ausführungen des BGH mangels Ermächtigungsgrundlage nichtig. Trotz der Neuregelung des Umlagemechanismus kann dieser nach Ansicht des BGH nicht auf § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3 EnWG gestützt werden. Diesbezüglich nimmt der BGH Bezug auf seine Begründung in dem Beschluss „Netzentgeltbefreiung“ und führt aus, dass es sich bei der Umlage nicht um ein Entgelt für die Netznutzung handele. Vielmehr stelle diese eine Abgabe dar, die der Kompensation von Mindererlösen diene. § 24 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 3 EnWG ermächtige jedoch zur Erhebung einer solchen Abgabe nicht. Zudem sei auch der Rückgriff auf § 24 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 EnWG in der ab 04.08.2011 geltenden Fassung verwehrt, da die Norm die im Rahmen des Umlagemechanismus in Rede stehenden Mindererlöse nicht erfasse.
Rückabwicklungsproblematik als Folge der neuen Rechtsprechung
Diese Rechtsprechung hat Konsequenzen. Aufgrund der unwirksamen Erhebung der Umlagen gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV könnten die geleisteten Zahlungen rückabgewickelt werden. Dies erfordert jedoch einen komplexen wechselseitigen Zahlungsausgleich zwischen den am Umlageverfahren Beteiligten. Darüber hinaus würden im Falle einer Rückabwicklung hohe finanzielle Belastungen bei den Netzbetreibern verbleiben, die aufgrund einer Netzentgeltreduzierung oder -befreiung in ihrem Netzgebiet massive Einnahmeausfälle zu verzeichnen hätten.
Lösung im Strommarktgesetz angelegt
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber versuchen wird, die Nichtigkeit der Regelungen zum Umlagemechanismus zu heilen, indem er den § 24 EnWG rückwirkend zum 01.01.2012 ändert und damit eine rechtmäßige Ermächtigungsgrundlage für den Umlagemechanismus schafft. In dem vom Deutschen Bundestag am 23.06.2016 beschlossenen und vom Bundesrat am 08.07.2016 gebilligten Gesetz zur Weiterentwicklung des Strommarktes („Strommarktgesetz“) ist eine solche Änderung des § 24 EnWG bereits vorgesehen. Das Gesetz soll noch in diesem Sommer verkündet werden.
Grundsätzliche Möglichkeit der rückwirkenden Heilung vom BGH anerkannt
Der BGH hat in anderem Zusammenhang bereits mit Beschluss vom 31.01.2012 (EnVR 16/10) entschieden, dass eine rückwirkende Heilung einer unzureichenden Verordnungsermächtigung möglich ist. Ob die Art und Weise der vom Gesetzgeber geplanten Heilungsmöglichkeit rechtlich Bestand haben wird, bleibt abzuwarten.
Reaktionsmöglichkeiten von Letztverbrauchern in der Praxis
Vor diesem Hintergrund bestehen für Letztverbraucher zahlreiche Unsicherheiten in rechtlicher sowie praktischer Hinsicht. Als Reaktionsmöglichkeit bietet sich zum einen die Zahlung der Umlage gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV unter dem Vorbehalt einer Rückforderung an. Zum anderen stellt der Rückbehalt der Umlage eine potentielle Handlungsalternative dar. Denn gemäß dem Muster-Netznutzungsvertrag der Bundesnetzagentur (in der konsolidierten Fassung gemäß Mitteilung Nr. 1 vom 24.06.2015.) berechtigen gemäß § 8 Nr. 11 Einwände gegen die Richtigkeit der Rechnung und Abschlagsberechnung zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung, soweit die ernsthafte Möglichkeit eines Fehlers besteht. Die Nichtigkeit der den Umlagemechanismus gemäß § 19 Abs. 2 StromNEV regelnden Normen dürfte einen solchen Fall der ernsthaften Möglichkeit eines Fehlers begründen. Insofern stellt sich jedoch die Frage, ob ein Einbehalt vor dem Hintergrund der kurzfristig erwarteten Heilung durch den Gesetzgeber zweckmäßig erscheint.