Update Immobilien & Bau 2/2016
Dingliche Einigung über das Vorkaufsrecht ohne Notar möglich
BGH, Urteil vom 8. April 2016 – V ZR 73/15:
Die Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts musste nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung notariell beurkundet werden (vgl. BGH-Urteil v. 7. November 1990 – XII ZR 11/89). Mit seinem Urteil vom 8. April 2016 (Az. V ZR 73/15) hat der BGH diese Rechtsprechung aufgegeben. Die zur Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrecht gem. § 873 BGB erforderliche Einigung muss, anders als das Verpflichtungsgeschäft, nicht notariell beurkundet werden. Eine besondere Form muss nur dann eingehalten werden, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibt. Dies folgt aus dem Grundsatz der Formfreiheit.
Sachverhalt
Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, das hinter dem Grundstück des Beklagten belegen ist, welches dieser mit notariellem Vertrag von dem Kläger erwarb. Der Kläger sicherte dem Beklagten in diesem Zusammenhang ein auf den ersten Verkaufsfall beschränktes dingliches Vorkaufsrecht an dem hinteren Grundstück zu. Diese Abrede fand in dem notariellen Vertrag keinen Niederschlag. Das Vorkaufsrecht wurde dennoch im Grundbuch eingetragen. Der Beklagte übte, nachdem der Kläger sein Grundstück an einen anderen Nachbarn verkauft hatte, sein Vorkaufsrecht aus.
Bisherige Rechtsprechung
Gem. § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB bedarf ein Vertrag, durch den sich der eine Teil verpflichtet, das Eigentum an einem Grundstück zu übertragen oder zu erwerben, der notariellen Beurkundung. Die Formvorschrift des § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB (§ 313 S. 1 BGB a. F) galt nach der bisherigen Rechtsprechung für die Bestellung eines Vorkaufsrechts, und zwar sowohl für das persönliche als auch für das dingliche. Dieser Formzwang erstreckte sich auf die Bestellung selbst und auch auf die Verpflichtung dazu. Nach dieser Rechtsprechung wäre die Bestellung des dinglichen Vorkaufsrechts formnichtig. Der Anspruch des Klägers auf Bewilligung der Löschung des Vorkaufsrechts würde sich zum einen aus § 894 BGB (Grundbuchberichtigungsanspruch), zum anderen unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung ergeben. Der 12. Zivilsenat des BGH hatte in seinem Urteil vom 7. November 1990 diese Ansicht ohne nähere Begründung vertreten.
Aufgabe der älteren Rechtsprechung
In seinem jüngsten Urteil vom 8. April 2016 hat der 5. Zivilsenat des BGH diese Auffassung aufgegeben. Ein Grundbuchberichtigungsanspruch des Klägers bestehe weder aus § 894 BGB noch aus dem Bereicherungsrecht.
Nach dem Grundsatz der Formfreiheit müsse eine besondere Form nur dann eingehalten werden, wenn das Gesetz dies ausdrücklich vorschreibe. Eine solche Bestimmung enthielte das Gesetz für die zur Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts erforderliche Einigung nach § 873 BGB nicht.
Des Weiteren wird die neue Rechtsprechung in erster Linie mit der grammatikalischen und systematischen Auslegung des § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB begründet. Diese Vorschrift regle nur das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft. Ihre analoge Anwendung auf die dingliche Einigung scheide schon in Ermangelung einer planwidrigen Regelungslücke aus, weil das Erfüllungsgeschäft nach dem Trennungsprinzip eigenen Regeln unterworfen sei.
Zudem widerspreche die Formbedürftigkeit der Einigung der in § 925 Abs. 1 BGB enthaltenen Regelung für die Auflassung. Da selbst die Auflassung nicht notariell beurkundet, sondern nur vor der zuständigen Stelle erklärt werden müsse, gelte dies erst recht für eine Einigung im Sinne von § 873 BGB, die nicht § 925 BGB unterfalle. Die dingliche Einigung über die Belastung eines Grundstücks mit einem Vorkaufsrecht stelle eine Einigung im Sinne des § 873 BGB dar.
Schließlich wäre die Formbedürftigkeit auch mit der in § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB vorgesehen Heilung des formunwirksamen Verpflichtungsgeschäfts unvereinbar. Der Zweck der Heilungsvorschrift, das bislang unwirksame Kausalgeschäft aufgrund der Erfüllung seinem ganzen Inhalt nach wirksam werden zu lassen, würde verfehlt werden, wenn die Verfügung denselben Formanforderungen wie das Verpflichtungsgeschäft unterworfen würde und dessen Erfüllung infolgedessen nicht eintreten könne.
Auch ein Anspruch auf Berichtigung des Grundbuchs unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung sei zu verneinen. Der erforderliche Rechtsgrund für die Bestellung des dinglichen Vorkaufsrechts sei in der darauf bezogenen schuldrechtlichen Vereinbarung zu sehen. Zwar sei diese Vereinbarung – da nicht notariell beurkundet – formunwirksam, allerdings sei dieser Mangel durch die erfolgte Einigung und den Vollzug der Abreden (Eintragung des Vorkaufsrechts im Grundbuch) gemäß § 311b Abs. 1 Satz 2 BGB geheilt worden.
Fazit
Der BGH stellt in seinem Urteil klar, dass die Einigung im Sinne des § 873 BGB zur Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts nicht der notariellen Form bedarf. Das Urteil stellt einen Paradigmenwechsel in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes dar.
Das Urteil ist zu begrüßen. Der 5. Zivilsenat begründet – anders als der 12. Zivilsenat im Jahre 1990 – seine Entscheidung ausführlich, detailliert und in sich widerspruchsfrei. Der Grundsatz der Formfreiheit wird in den Fokus der Entscheidung gestellt und deren Bedeutung hervorgehoben. Nur wenn das Gesetz ausdrücklich Formanforderungen stellt, kann die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts von deren Einhaltung abhängig sein. Der BGH unterstreicht insbesondere, warum § 311b BGB eine solche Formbedürftigkeit für die dingliche Einigung nicht auslöst.
Für die Praxis bedeutet dies, dass in Zukunft für die Bestellung eines dinglichen Vorkaufsrechts die dingliche Einigung und die Eintragung im Grundbuch ausreichend sind. Eine notarielle Beurkundung ist dagegen nicht erforderlich. Für Eigentümer, die ein solches Vorkaufsrecht einräumen, bedeutet die Entscheidung, dass diese sich der Verantwortung nicht entziehen können, indem sie sich lediglich auf die fehlende notarielle Beurkundung berufen. Insbesondere im Rahmen der Gestaltung von Mietverträgen kann diese neue Rechtsprechung in der Praxis Bedeutung gewinnen. Räumt der Vermieter dem Mieter im Mietvertrag ein dingliches Vorkaufsrecht ein, so ist für dessen Wirksamkeit nicht mehr eine – kostenintensive – notarielle Beurkundung des Mietvertrages erforderlich. Insbesondere unter Kostengesichtspunkten dürfte diese neue Gestaltungsmöglichkeit für die Parteien daher von Relevanz sein.